2. Korinther 5,17 Neu in Christus

09.10.2022

Liebe Gemeinde,

für die Predigt habe ich einen Vers ausgesucht, der mich immer schon gereizt hat, mich motiviert hat, aber auch verwirrt. Ein Satz von Paulus, der uns zusagt, dass wir ein neues Leben haben:

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur;
das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Kor 5,17)

Ist jemand „in Christus“, dann ist er eine neue Schöpfung.
1. Was heißt „in Christus“ sein?

Wenn eine Frau sagt: „Ich bin in andern Umständen“, dann ist klar: sie ist schwanger. Wenn jemand sagt: „Ich bin in Eile“, dann gibt er zu verstehen, dass er keine Zeit hat. Wenn ein Kind sagt: „Ich bin in der Schule“, dann ist dieses Kind schulpflichtig. – Was aber meint Paulus mit „in Christus sein“? Neuere Bibelübersetzungen, „Hoffnung für alle“ oder „Gute Nachricht“ übersetzen „Wenn jemand zu Christus gehört“. Das ist nicht falsch, aber es ist auch missverständlich. Es greift zu kurz.

Viele würden sagen „ich gehöre zu Christus“. So wie man zu einem Verein gehört. Ich habe mich auch einmal bekehrt, bin getauft, bin Mitglied in einer Gemeinde. Ich gehöre auch zu diesem Verein. Das ist alles nicht verkehrt, in Christus sein aber meint eine ganz enge Beziehung zu ihm.  Ihm nachfolgen, mein Leben ihm anvertrauen, eins sein mit ihm, die Welt mit seinen Augen sehen, mit an seinem Herzen hängen, seinen Pulsschlag haben. In Christus sein heißt, Teil von ihm zu sein. Teil seines Leibes.

In Christus sein, das bedeutet umgetopft zu sein. Wie eine Pflanze, die aus trockener alter Erde in fruchtbaren Boden gepflanzt wird. Da ist sie jetzt zuhause, die Pflanze. Aus dem neuen Boden bezieht sie ihre Kraft. Das Alte ist vergangen! Sie wird neu aufblühen. Wie ein Zweig, der auf einen anderen Stamm, auf einer anderen Wurzel aufgepfropft wird. Eigentlich gehört er da nicht hin, aber jetzt bezieht er seine Kraft, sein Leben aus der neuen Wurzel, auf die er aufgepfropft wurde.

Auch Jesus hat diese in-ihm-Formulierung gebraucht: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ hat Jesus seinen Jüngern gesagt. „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht!“ (Joh. 15,5) In Christus zu sein, ist also etwas anderes, als sich einmal bekehrt zu haben, getauft worden zu sein, zu einer Gemeinde zu gehören. In Christus bist du, wenn er dir alles ist,  wenn du in ihn eingepflanzt bist, wenn du deine Kraft, deinen Trost, deine Liebe in ihm  findest, aus seiner Nähe ziehst. Das kann man auch als Christ verlernen.

  1. Wer schafft die neue Kreatur?

„Wer in mir bleibt, der bringt viel Frucht!“ sagt Jesus. Jesus ist es, der diese Frucht wachsen lässt.  Sie kommt allein dadurch, in ihn eingepfropft zu sein, wie eine Rebe am Weinstock.   Sein Geist schafft Neues in uns. Paulus nennt es Frucht des Heiligen Geistes, was in uns wächst. (Galater 5,22)

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Die alte Schöpfung und die neue Schöpfung liegen nicht in unserer Hand. Wir sind es nicht, die diese Welt geschaffen haben, und wir sind es nicht, die zu einer neuen Schöpfung von uns selbst in der Lage wären. Gott allein ist der Schöpfer und Neuschöpfer.

Wie oft haben wir das versucht. Wie gerne würden wir uns neu schaffen können, einfach auf Resett drücken, von Null anfangen. Nicht mehr sündigen.  Nur noch voller Liebe und Weisheit sein. Gerecht zu allen Menschen sein. Friedensstifter. Wie viele Christen fallen immer wieder in die gleichen Fallen. Sie tun, was sie eigentlich nicht wollen. Sie kommen da nicht raus. Sie sind nicht frei in dem, was sie tun. Und sie fliehen immer wieder zu Jesus und fangen neu an. Und sie dürfen und sollen immer wieder zu Jesus fliehen, und neu anfangen! Und Jesus vergibt ihnen immer wieder und er segnet sie. Unglaublich! – Aber das Neue in uns ist noch wenig zu sehen. – Ich war noch nicht lange Pastor, da sagte ein alter Pastor zur mir, ein weiser Ruheständler: „Es gibt nichts in der Welt, was es nicht auch in der Gemeinde gibt.“ So neu sind wir alle noch nicht.

In der Theologie unterscheidet man Rechtfertigung und Heiligung. Rechtfertigung:  Wie man zum Glauben kommt. Heiligung: Wie man im Glauben lebt. Und oft wird es so verstanden:
Rechtfertigung: Du bist gerecht vor Gott allein aus Gnade. Das hat Gott dir mit Jesus geschenkt. Heiligung: Jetzt musst du dich auch ändern. Jetzt bist du dran.

Aber auch wenn wir Christen werden, stehen wir vor dem gleichen Dilemma: Wir sind immer noch Menschen. Fehlerhaft, dumm, verletzlich, versuchlich. Wir können unsere Gefühle, Gedanken und Taten nicht völlig kontrollieren. Als würde die Sünde in uns mit uns spielen. Wie eine innere Kraft, die wir nicht abschütteln können. Selbst wenn wir Gutes tun wollen, werden wir nicht selten schuldig. An uns selbst, Gott gegenüber, an anderen Menschen.

Es bleibt dabei: Das Gesetz schafft kein neues Leben. Gebote machen uns nicht neu. Ich selbst kann mich nicht neu machen. Aber das ist die gute Nachricht: Beides, Rechtfertigung und Heiligung, gerettet zu werden und gerettet zu leben, beides gehört zum Evangelium, für beides ist Christus gestorben, beides will Gott uns schenken.

Im 1. Korintherbrief 1 schreibt Paulus:

28 Was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, 29 auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme. 30 Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, der für uns zur Weisheit wurde durch Gott und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung.

In Christus haben wir Rechtfertigung und Heiligung. Beides. Beides aber nie von ihm losgelöst, ohne Beziehung zu ihm. Gott macht zunichte, was Menschen schaffen können, was bei Menschen zählt, was in der Welt groß aussieht, und er richtet die auf, die nichts bringen, die nichts leisten können, die vor Gott auf sich selbst nicht mehr zählen.  Denen ist Christus gemacht zur Weisheit, Rechtfertigung und Heiligung und zur Befreiung. Niemand soll sich selbst rühmen, niemand schafft es von sich aus, weise, gerecht und heilig zu leben.

Das Ziel der Heiligung ist nicht, dass wir losgelöst von Jesus, aus eigener Kraft immer liebevoller und gerechter werden. Das Ziel der Heiligung ist, in Christus zu sein! Er wird dann Neues in uns schaffen.

Einige von euch kennen vielleicht Hans-Joachim Eckstein. Professor für Neues Testament. Er hat viele auch sehr erbauliche Bücher geschrieben. Geistliche Bücher. Gebetsbücher. Er erzählt in einer Predigt von einem Besuch bei einer Gastfamilie. Sie saßen zum Frühstück, da kommt der dreijährige Sohn ins Zimmer. Gerade aus dem Bett gekommen. Noch in seinem Schlafoverall. Er reibt sich die noch kaum geöffneten Augen. Er sucht einen Menschen, der ihm nahe ist, vertraut, wo er geborgen ist, und er setzt sich auf den Schoß seiner Tante. Wie ein Äffchen setzt er sich auf ihren Schoß. Ganz eng umarmt er sie.  Legt den Kopf auf ihre Schulter. Füße, Beine, Bauch, Arme, alles ganz eng an die Tante geschmiegt. Als wollte er mit möglichst viel seines Körpers den Körper der Tante spüren. Da sei ihm, Hans-Joachim Eckstein, der Satz über die Lippen gekommen: „Das ist Heiligung.“ Alles in Jesus suchen und finden.  Sich ganz an ihn schmiegen. Nur ihm möglichst nahe sein wollen. Das ist „In Christus sein“.

  1. Was ist Sünde?

Die Ursünde des Menschen ist, das, was man zum Leben braucht, nicht bei Gott, sondern woanders zu suchen. Wie Adam und Eva, die Gott kannten, die in seiner Nähe lebten, dann doch das, was sie sich vom Leben gewünscht haben, in der Frucht eines anderen Baumes suchten. Sünde, das sind nicht zuerst irgendwelche Taten oder Worte, die Gott nicht entsprechen. Diese Sünden im Plural folgen aus der Sünde, dass der Mensch selbstständig sein will, ohne Gott sein Leben finden und führen will.

Alle Menschen sehnen sich nach einem schönen Leben. Nach Freude, nach Trost, nach Gemeinschaft, Sinn, Geborgenheit. Das ist die Ursünde und Tragik des Menschen, dass er sich das, was er sich vom Leben wünscht, ohne Gott erfüllen will. Im Wir mit Jesus haben wir alles, was wir brauchen. Im Wir mit Jesus wachsen Freiheit, Freude und Friede in uns.

Selbst Jesus hat gesagt: „Ohne meinen Vater kann ich nichts tun!“ (Vgl. Johannes 5, 19) Wie viel mehr dürfen wir sagen „Ohne meinen Jesus kann ich nichts tun!“ Es geht nicht darum, Jesus zu imitieren, ihn aus eigener Kraft nachzumachen. Es geht darum, an ihm zu partizipieren.

Die Heilung des Menschen liegt darin, sich umtopfen zu lassen. Sich an Christus zu klammern, wie der Dreijährige an seine Tante. Sich zusagen zu lassen: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Seine Liebe anzunehmen und sich von seiner Liebe ändern zu lassen.

„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Kor 5,17) Hans-Joachim Eckstein verwendet noch ein anderes Bild: Seine Goldfische. Im Wasser haben sie alles, was sie zum Leben brauchen. So dürfen wir in Christus leben! Und haben alles, was wir brauchen. Würde ein Goldfisch aus dem Wasser springen und an Land liegen, hätte man den Eindruck, dass er hoch aktiv wird. Jetzt fängt sein Leben erst richtig an. Er bewegt sich, zappelt und tanzt, wie er es im Wasser nie getan hat. Seine ganze Bewegung aber ist nur Kompensation, Ablenkung, Übersprungshandlung. Er hat sich aus seinem Lebensraum entfernt. So sind wir Christen, wenn wir meinen, außerhalb von Christus neues Leben gewinnen zu können.

Der Fisch braucht Wasser. Ein Christ braucht Christus. Heiligung ohne Christus, das ist Gesetzlichkeit. Hybris. Selbstüberschätzung. Da springe ich aus dem Wasser und zappele, … aber es bringt nichts.

  1. Sünde ist Schaden und Schicksal                

Sünde ist nicht etwas, was nur bei mir bleibt. Sünde hat Folgen! Sünde ist Schaden! Die Ursünde, ohne Gott sein Leben zu suchen, zieht viele Sünden im Plural nach sich. Sünde ist wie ein Backstein, den ein Junge nach oben wirft. Der kommt wieder herunter und er beschädigt Menschen. In der Regel wird der Backstein nicht senkrecht nach oben geworfen, dann würde er nur dem Jungen schaden. In der Regel trifft er andere.

Nicht aller Schaden ist wieder gut zu machen. Vieles, was sie Sünde anrichtet, wird erst erkannt und geheilt, wenn Jesus wiederkommt. Verborgene Sünden. Leiden. Seelische und körperliche Schäden, die Menschen einander zugefügt haben. Kriege. Krankheit und Tod werden erst aufhören, wenn Jesus wiederkommt.

Sünde richtet Schaden an. Sünde braucht Vergebung. Von Gott und untereinander. Sünde zerstört auch Beziehungen zwischen Menschen! Wenn ich etwas tue, was mir oder anderen schadet, dann ist es Sünde. Wie viele  Eltern zum Beispiel  meinen es nur gut  und haben auch etwas von ihrer Dummheit, von ihren Grenzen, Schaden bei ihren Kindern hinterlassen. Dann brauchen Menschen Vergebung. Ohne Vergebung gibt es keine Gemeinschaft mit Christus.

Sünde ist Schaden. Und Sünde ist Schicksal. Wir finden uns vor in einer ganz langen Reihe von Menschen, die Sünder sind. Seit Adam und Eva. Und wir sind es auch. Wir sind nicht frei davon. Wir und andere werden schuldig. Wir werfen unsere Steine hoch und schaden anderen. Andere werfen ihre Steine hoch und treffen uns. „Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“ lehrt Jesus uns darum beten. Ohne Vergebung geht es nicht!

Altes vergangen und Neues geworden, das heißt nicht, dass die Sünde gestorben ist.  Sie ist immer noch da.  Als eine Macht durch die ganze Menschheit hindurch. Als Möglichkeit auch für uns. Auch wir sündigen. Die Sünde ist nicht tot. Sünde, Tod und Teufel sind verurteilt am Kreuz, ja! Aber hingerichtet werden sie erst, wenn Jesus wiederkommt.

Was heißt das für unser Miteinander, dass wir eingepflanzt sind in Christus, dass der neue Mensch in uns wächst, dass wir aber noch Sünder sind? Direkt vor unserem Predigttext scheibt Paulus:

  1. Wir kennen niemand mehr nach dem Fleisch!

Fleisch meint den natürlichen Menschen, den mangelhaften Menschen, den Menschen an sich, den unerlösten Menschen. Wir beurteilen niemand mehr nach seinem alten Menschen. Wir beurteilen einander nicht mehr nach dem, was die oder der andere ist, sondern nach dem, was sie oder er   in Christus ist. Wir sehen Christus im anderen. Wir sehen seinen Geist am Werk. Wir sehen, was Christus aus ihm machen wird.  Wir sind geduldig. Wir tragen einander.

Das ist nicht immer leicht. Aber wer den anderen nur nach dem Fleisch sieht, wer nur die Grenzen und die Schuld des anderen sieht, der gibt die Hoffnung für ihn auf. Die Geduld und die Liebe. – Und auch wer sich selbst nur sieht in den eigenen Grenzen und der eigenen Schuld, der gibt sich selbst auf, sie oder er kann nur resignieren. Sie oder er rechnet nicht mit Christus in sich selbst. Sie oder er verliert die Geduld und die Liebe zu sich selbst.

Du bist mehr als du denkst! Du bist umgetopft, eingepfropft in Christus. Da fließt eine neue Liebe durch dich! Da ist eine neue Kraft in dir. Du bist gerettet und du darfst gerettet leben. Lass die alten Früchte in dir schrumpeln. Neue werden wachsen.

„Haltet euch für Menschen, die der Sünde für gestorben sind und für Gott leben in Christus Jesus!“ schreibt Paulus nach Rom (6,11). Wir sündigen noch. Aber wir sind schon an Christus angeschlossen! Neues will wachsen. Neues kann wachsen. Rechne mit dem Neuen in dir.

Wir Christen leben sehr oft unter unserem Niveau. Wir leben unter unseren Verhältnissen. Wir rechnen nicht mit der Freiheit, die Gott uns schenken will. Unser Stolz ist es der uns hindert, sage ich heute einmal. Wir wollen es allein schaffen. Wie kleine Kinder sagen wir „das kann ich schon alleine!“ Wir lassen Gott nicht heran, wir lassen auch Menschen nicht heran an unsere schlechten Früchte.

Wir machen uns etwas vor, verdrängen, was unerlöst in uns ist. Wir reden unsere Sünde klein, lassen uns nicht helfen. Wir bitten Gott und bitten Menschen nicht um Vergebung.

Mit Gottes Geist zu rechnen, schließt eine befreiende Beichte nicht aus. Oder Hilfe zu suchen. Mit jemand anderem seine geheimen oder offensichtlichen Schwächen anzugehen. Auch die Schwester oder der Bruder weiß um seine Sünden und auch sie oder er haben den Heiligen Geist und sind in Christus umgetopft.

Wir leben unter unseren Verhältnissen, wenn wir nicht von dem guten Boden leben, in den Gott uns gepflanzt hat.

Paulus schreibt den Korinthern: Wir kennen niemand mehr nach dem Fleisch. Uns selbst nicht und andere nicht. „Denn: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Kor 5,17)

Amen.

 

Für diese Predigt habe ich etliche Gedanken übernommen aus der Predigt von Hans-Joachim Eckstein zu Römer 6, 1-11 bei YouTube vom 17.11.2018 mit dem Titel „Wie neu ist der neue Mensch?

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