Der Segen Aarons
Um den Segen geht auch in der Predigt. Ich lese uns den wohl bekanntesten Segen vor. Juden und auch Christen sprechen diesen Segen nach ihren Versammlungen oder Gottesdiensten.
Wir finden ihn in 4. Buch Mose 6, 22-27:
22 Und der HERR redete mit Mose und sprach:
23 Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich:
So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet:
24 Der HERR segne dich und behüte dich;
25 der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
26 der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
27 So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.
Einiges zum Segen haben wir schon in dem ersten Teil gehört, bei dem ich eher die Kinder vor Augen hatte. Jetzt will ich einiges ergänzen:
- 1. Segnen heißt, dem anderen Gutes sagen.
Das Wort für segnen heißt sowohl im Hebräischen also in der Sprache des Alten Testaments, als auch im Lateinischen zunächst einfach nur „Gutes sagen“. Barach im Hebräischen. Benedicere im Lateinischen. Segnen ist, dem anderen von Gott her Gutes sagen. - 2. Segnen ist in aller Regel mit einer Handlung verbunden.
Das deutsche Wort für segnen kommt von dem Lateinischen Signum. Wer segnet, gibt dem anderen ein Zeichen. Er lässt ihn etwas sehen oder fühlen. Der Segnende erhebt seine Hände oder er legt seine Hände auf die Person, die er segnet. Oder er salbt sie mit Öl. Gießt Öl auf seinen Kopf oder macht ein Kreuzeszeichen auf die Stirn. Man kann auch einen Körperteil berühren, der schmerzt oder wo sich jemand Heilung wünscht. Zuspruch und Zeichen sind also oft beim Segnen verbunden. - 3. Segnen ist mehr als Fürbitte, also für jemanden zu beten.
Wenn ein Gottesdienstleiter am Ende eines Gottesdienstes betet „Herr, nun geh mit uns in die Woche und lass uns deine Jünger sein.“, der hat gebetet, das ist okay, aber er hat keinen Segen gesprochen. Segen ist Zuspruch: Im Namen Gottes und gebunden an Gott.
Einerseits hat Gott sich daran gebunden. Er hält sich an sein Wort. Andererseits finden wir Segnen in der Bibel nur als Wunschform. So auch in dem vorhin gelesenen Segen: 24 Der HERR segne dich und behüte dich; 25 der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; 26 der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Da wird nicht einfach gesagt „Der Herr segnet dich und behütet dich und lässt sein Angesicht leuchten.“ Sondern: Er möge dich segnen, er möge dich behüten und so weiter. Gott bleibt der Herr über seinen Segen. Menschen können nicht über ihn verfügen oder sogar Projekte, Aktionen, Vorhaben von Menschen segnen, die Gott nicht will. Man kann keine Waffen segnen, keine Kriege, keine Streitlust, in der man sich durchsetzen will.
- 4. Man kann letztlich keine Menschen segnen, die von Gott nichts wissen wollen.
Man kann den Segen nicht von Gott trennen und jemandem sagen „Hier hast du den Segen. Von Gott wolltest du ja nichts wissen.“ Gott ist kein Verkäufer, dessen Ware man auch ohne ihn kriegen kann.
Das kann im Einzelfall einmal gar nicht so leicht sein. Ich habe ein einziges Mal in meinem Leben einem Paar die Trauung verweigert. Ich habe ihnen gesagt, ich würde ihre Trauung nicht machen.
Wir waren uns irgendwann einmal begegnet. Jetzt baten sie mich, ihren Traugottesdienst zu übernehmen. Wir saßen zusammen und sie sagten mir alles, was sie sich wünschten. Es sollte kurz sein, nicht so fromm, hinknien wollten sie sich nicht, das sieht immer blöde aus, ich sollte nicht so viel vom Glauben reden, weil viele Gäste damit nichts am Hut hätten. Aber sie wollten gerne in einer Kirche getraut werden.
Ich weiß nicht, ob ich heute noch genauso entscheiden würde. Das Ganze ist über 20 Jahre her. Aber damals kam ich mir vor wie ein Service-Anbieter, ein gekaufter Festredner, dem man am liebsten noch die Rede schreiben würde, ein Zeremonienmeister. Ich habe nichts gesehen, dass diese beiden Gott begegnen wollten, dass sie der Meinung waren, ihn zu brauchen, dass sie seinen Segen haben wollten und ihn als ihren Herrn anerkannten. Kann ich sie dann im Namen Gottes segnen?
Vielleicht würde ich heute einen anderen aber auch ehrlichen Weg finden. Damals habe ich gesagt: „Ich kann das nicht. Ich möchte das nicht. Sucht euch einen freien Redner oder eine andere Kirche. Ich kann euch nicht segnen, wenn ihr nichts von Gott wissen wollt.“
- 5. Der Inhalt des Segens ist Gott selbst.
Wer nach Gottes Segen verlangt, verlangt letztlich nach ihm. Gottes Segen kann sich zeigen in Bewahrung, in Erfolg, in Gesundheit, Heilung vielleicht, in Trost und Halt und Kraft. Die tiefste oder höchste, umfassendste Formulierung im Segen des Aaron ist wohl die, dass er uns seinen Frieden gebe. Da ist alles drin. Aber das gibt es nicht ohne ihn!
Martin Luther hat gesagt: Im aaronitischen Segen „wird nichts als Gottes Gegenwart zugesprochen.“ Meister Eckart, ein Theologe und Philosoph des späten Mittelalters hat schon über 100 Jahre vor Luther gesagt: „Es geht um Gott. Nicht um dies und das. Was hier zugesagt wird, kann nur in Gott gefunden werden!“
Als Gott einmal zu Mose gesprochen hat an einem brennenden Dornenbusch, hat Gott Mose gesegnet und gesagt: „Ich werde mit dir sein!“ Da wusste Mose noch nichts davon, was ihm alles passieren würde, was Gott mit ihm vorhatte. Aber dass der Herr mit ihm sein würde, das ist der Zuspruch Gottes. Und das reicht! Mehr braucht man vorher nicht zu wissen.
Die meisten von uns kennen diesen Text, ich lese ihn dennoch einmal vor: Spuren im Sand. Von Margaret Fishback Powers:
Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel
erstrahlten, Streiflichtern gleich,
Bilder aus meinem Leben.
Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.
Als das letzte Bild an meinen Augen
vorübergezogen war, blickte ich zurück.
Ich erschrak, als ich entdeckte,
daß an vielen Stellen meines Lebensweges
nur eine Spur zu sehen war.
Und das waren gerade die schwersten
Zeiten meines Lebens.
Besorgt fragte ich den Herrn:
“Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen,
da hast du mir versprochen,
auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich,
daß in den schwersten Zeiten meines Lebens
nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen,
als ich dich am meisten brauchte?”
Da antwortete er: “Mein liebes Kind,
ich liebe dich und werde dich nie allein lassen,
erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.”
Gott hält sein „Ich werde mit Dir sein!“ An den Spuren im Sand und an Mose, den Gott doch gesegnet hat, können wir noch etwas sehen:
- 6. Segen schützt nicht vor Leiden.
Gesegnet zu werden schützt nicht davor, dass es lange Wüstenwege gibt bei Mose und für Israel oder in unserem Leben. Dieses Leben ist kein Ponyhof und der Segen “hebt uns nicht gleich in den Himmel“. Wir leben noch auf der von Gott abgefallenen Erde, nicht im Himmel.
Es ist so traurig, ich finde es ernüchternd und erschütternd, wenn Menschen ihren Glauben in Zweifel ziehen, weil es im Leben schwer geworden ist, weil ihnen Unrecht angetan wurde, weil diese Welt so böse oder kompliziert ist. Was haben sie für ein Bild gehabt von Gott? Was hatten sie für ein Bild von der Welt und von den Menschen, die diese Welt prägen?
Gott hat das Volk Israel damals zu seinem Ziel geführt. Aber sie waren stur, haben gemeckert, gezweifelt, waren unzufrieden. Gott musste sie große Umwege führen. Gott macht Gesegnete nicht zu Marionetten oder zu Engeln. Die Gesegneten laufen Zickzack, fallen auf die Nase, sind nur am Jammern statt zu vertrauen. Das kostet sie Kraft. Das kostet Zeit. Und Gott bringt sie doch an sein Ziel. Sie bleiben Menschen mit
Schwächen, Dummheiten und mit ihren Bosheiten. Dass Gott uns segnet, bewahrt uns nicht davor, dass andere Menschen oder wir selbst uns das Leben schwer machen.
- 7. Gottes Segen nimmt uns in Anspruch.
Auch das kann man an Mose sehen und am Volk Israel. Zu Israel, seinem Volk, sagt Gott später durch den Propheten Amos: „Unter allen Völkern der Erde seid ihr das einzige, das ich als mein Eigentum erwählt habe. Deshalb ziehe ich euch nun für eure Sünden zur Rechenschaft.“ (Amos 3,2; Hoffnung-für-alle-Übersetzung) Wer sich von Gott segnet lässt, der wird mit ihm verbunden. Er kriegt ein Namensschild: „Dieser gehört zu Gott und Gott gehört zu ihm.“ Innerhalb dieser Beziehung will Gott ihn beschützen und beschenken. - Christen segnen im Namen von Jesus Christus!
Und: 9. Alle Christen dürfen andere segnen.
Der vorhin gelesene Segen wird der aaronitische Segen genannt oder der priesterliche Segen. Wir sprechen diesen Segen in unserer Gemeinde manchmal am Ende unseres Gottesdienstes. In jüdischen Gottesdiensten und auch in manchen anderen Kirchen wird er am Ende jedes Gottesdienstes gesprochen.
Das war nicht immer so. Im Neuen Testament kommt er überhaupt nicht vor. Es wird auch kein Bezug auf ihn genommen. Auch in den ersten Jahrhunderten der Christenheit spielte er keine Rolle. Es war der Segen der Juden! – Auch in 4. Mose haben wir gelesen: „So sollen sie (also Aaron und die Priester) meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“ Wir sind nicht das Volk Israel, oder? Wir sind keine Priester nach der Ordnung Aarons, oder? Warum sprechen wir dann diesen Segen? Mit wessen Vollmacht? Wer hat uns dazu ermächtigt?
Wenn der Name für den Segen so wichtig ist, dann müssen wir uns fragen, welcher Name uns gegeben ist, welchen Namen wir auf andere Menschen legen können: Christen segnen im Namen Jesu Christi! „Jesus Christus ist das Ja zu allen Verheißungen Gottes!“ hat Paulus uns aufgeschrieben. (2. Korinther 1, 20) In seinem Namen kommen Menschen zusammen und er, Jesus Christus, ist gegenwärtig! (Matthäus 18,20) In seinem Namen haben Jünger böse Geister ausgetrieben. (Markus 16,17)
In seinem Namen predigen wir und rufen zur Umkehr des Lebens auf. (Lukas 24,47) „Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das soll euch geschehen!“ hat Jesus gesagt. (Johannes 14,13) Petrus hat den Juden gepredigt: „Es ist in keinem anderen das Heil, auch ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den sie gerettet und heil werden sollen (als Christus allein!)“ (Apg. 4,12)
Christen segnen im Namen Christi. Meistens tun sie das im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Trinitarisch nennt man das. Den Sohn gibt es nicht ohne den Vater. Vater und Sohn gibt es nicht ohne den heiligen Geist. Paulus segnet die Christen in Korinth und schreibt: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (2. Korinther 13,13) So segnen Christen.
Erst Martin Luther hat den Segen Aarons als eine Möglichkeit vorgeschlagen, damit den Gottesdienst zu beenden. Ende des 19. Jahrhunderts hat er sich dann als Schlusssegen in den Kirchen Luthers durchgesetzt. Heute gibt es Lutheraner, die sich einen Gottesdienst ohne diesen alten Segen Israels kam noch vorstellen können. Der Segen Aarons ist für die „der Segen“ schlechthin.
Christen können den Segen Aarons sprechen. Aber wir müssen uns bewusst sein, dass wir ihn den Juden wegnehmen oder von ihnen haben. Und dass wir ihn im Namen Jesu sprechen! Oder trinitarisch: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wir sind nicht einfach Teil des Volkes Israel. Christen dürfen sozusagen das Erbe von Aaron antreten, aus der Überzeugung, dass der Leib Jesu, die Kirche Jesu, das neue Israel Gottes ist. Paulus nennt die Juden „Israel des Fleisches“, von der Kirche spricht er als das „Israel Gottes!“ oder „des Geistes“. (1. Kor 10,18 und Gal 6,16)
Und Christen segnen in der Überzeugung, dass sie durch das Opfer Jesu Christi am Kreuz alle Priester sind. Im Neuen Testament, in der Kirche Jesu, gibt es keine Priester mehr. Alle sind Priester. Alle Kinder Gottes haben direkten Zugang zu Gott. (1. Petr 2,9) So wie alle Christen von Jesus weitersagen dürfen, ja sollen, wie alle Christen Gottes Liebe leben und für andere beten dürfen, ja sollen, so dürfen, ja sollen alle Christen andere Menschen segnen, die sich Gottes Hilfe wünschen!
Ich komme zum Schluss:
10. Gott lässt sein Angesicht über uns leuchten.
Wir sind von Gott angesehene Leute! Darum geht es im aaronitischen Segen. Gott sieht uns an. Er wendet sein Gesicht nicht ab. Er behält uns im Blick. Sein freundliches Gesicht leuchtet über uns. Wie eine Mutter, die ihr Kind ansieht und es liebt.
Menschen leben davon, dass sie angesehen werden. Es kann sehr deprimierend sein, tagelang kein Gesicht zu Gesicht zu bekommen. Wenn man niemanden sieht, keiner sich einem zuwendet, man nicht sieht, wie einer einen anlächelt, liebevoll ansieht, mich wirklich erkennt und es gut mit mir meint. Dann hat man den Eindruck, vergessen worden zu sein. Man wird ganz auf sich selbst zurückgeworfen. Man ist alleine und kann sich selbst nicht ansehen. Höchstens im Spiegel. Aber man braucht das Du, ein Gegenüber, das mich ansieht.
Gerade für ältere Menschen, die alleine leben, ist das schwer in dieser Zeit. Ich habe einige vor Augen, die ich gesehen oder gesprochen habe, die schnell am Wasser gebaut haben, weil sie niemanden mehr zu Gesicht bekommen. – Kennen Sie ältere Menschen, die alleine leben? Rufen sie an, klingeln sie mal, besuchen sie sie, bringen sie Blumen vorbei. Zeigen sie ihr Gesicht.
Gott hat uns sein Gesicht zugesagt:
25 der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
26 der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
Amen
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