Galater 4, 4-7 Der große Tausch

Christfest 25.12.2023

Ich lese Galater 4, 4-7:
4 Als sich aber die Zeit erfüllt hatte, sandte Gott seinen Sohn, zur Welt gebracht von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, 5 um die unter dem Gesetz freizukaufen, damit wir als Söhne und Töchter angenommen würden. 6 Weil ihr aber Söhne und Töchter seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, den Geist, der da ruft: Abba, Vater! 7 So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe – durch Gott.

„Der große Tausch“ habe ich meine Predigt überschrieben:

Gott ist zu den Menschen gekommen, damit Menschen zu ihm kommen können. Gott wird das Kind einer Frau, damit wir Kinder Gottes werden. Gott kommt in unser Dunkel, lebt und leidet als Mensch, damit wir in seine Herrlichkeit ohne Leiden kommen. Und er selbst zahlt es. Gott kommt für alles auf. Gottes großer Tausch beginnt bei der Geburt Jesu in Bethlehem.

Die gelesenen Verse werden auch die Weihnachtsgeschichte nach Paulus genannt. Das stimmt so nicht. Paulus erzählt die Geschichte nicht. Paulus sagt, was Weihnachten passiert ist, er fasst zusammen, worum es geht, was da begonnen hat, aber nicht wie es begonnen hat. Der Stall, die Hirten, die Engel werden nicht erwähnt. Paulus will das Evangelium in wenigen Sätzen zusammenfassen und nicht erzählen, wie das Einzelne stattgefunden hat. Krippe, Kreuz und Grab werden nicht erwähnt. Gott wurde ein Kind, Gott wurde Mensch, damit Menschen Kinder Gottes werden können. Darum geht es.

„Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn.“ Das heißt zum einen, dass es lange geplant war. Gott hat es durch seine Propheten voraussagen lassen. Aber vor dieser Zeit war es noch nicht die richtige Zeit.

Warum gerade jetzt? Man kann manches nennen, warum gerade diese Zeit geeignet war. Das römische Reich und die griechische Kultur könnten eine Rolle spielen. Es gab ein großes Reich, durch das man reisen konnte. Es gab eine Sprache, die man im breiten Mittelmeerraum sprach: Griechisch. Ein Reich, eine Sprache, auch die Diaspora, die weite Zerstreuung der Juden könnte, eine Rolle gespielt haben. In allen Ländern gab es Synagogen. Aus allen Ländern kamen Juden zu hohen Festen nach Jerusalem, sie hörten von Jesus, sie konnten zuhause an allen Ländern von ihm erzählen.

Auch die vom römischen Statthalter Quirinus angeordnete Volkszählung passte. In Bethlehem sollte der Messias geboren werden, so war es vorausgesagt. Josef musste mit seiner Frau in seine Geburtsstadt Bethlehem reisen. Nie wäre es ohne diese Volkszählung zur Geburt in  Bethlehem  gekommen.

Man kann versuchen nachzuvollziehen, warum jetzt gerade aus Gottes Sicht die Zeit erfüllt war.  Aber es war Gottes Plan. Ich glaube nicht, dass Menschen es hätten ausrechnen können. Gott hat es vielleicht einfach gereicht. Für Gott war es vielleicht einfach höchste Zeit. Gott schreibt seine Geschichte nach seinem Terminplan, nicht nach menschlichen Berechnungen.

Als „die Fülle der Zeit gekommen war“, so die wörtliche Übersetzung aus dem Griechischen, da sandte er seinen Sohn. Der Sohn, das Kind der Maria, er war vorher beim Vater. Er ist aus dem Vater ist gekommen. Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann: Er war ein Teil von Gott. Er war Gott selbst, als sein Sohn immer schon bei ihm. Auch die ewige Trinität von Vater, Sohn und Geist bleibt ein Geheimnis. Drei und doch eins.

Weihachten fängt der große Tausch an. Wir sollen ewig bei Gott sein, darum wird der Ewige ein Mensch und kommt in unsere Zeit. In zwei Nebensätzen macht Paulus klar, dass Jesus wirklich Mensch war: „Von einer Frau geboren und unters Gesetz getan.“ Jesus war ein Baby wie andere Babys. Ohne Unterschied. Er lag in Windeln. Er wurde an die Brust gelegt. Er hat geschlafen, hatte Bauchweh und Hunger, hat geschrien, wurde geschaukelt und getröstet. Die Geburt hat der Mutter weh getan wie Geburten weh tun und im Stall gab es keine guten Voraussetzungen dafür.

Und er wurde unters Gesetz getan. Was ist damit gemeint? Das Gesetz der Juden, das Gesetz des Mose, ja, aber auch  alles das, was von einem Juden damals erwartet wurde. Jesus bekam keine Sondervergünstigungen. Er wuchs auf wie jüdische Jungen damals aufgewachsen sind. Er musste laufen, sprechen, lesen und schreiben lernen. Auch er musste Gehorsam lernen, heißt es im Hebräerbrief. „Geboren von einer Frau und unters Gesetz getan“, beides hier aus dem Galaterbrief soll seine Menschlichkeit anzeigen. Normal geboren. Normal groß geworden und gelebt. Als ein Jude in Israel.

Er wurde unter das Gesetz getan, damit er die erlöste, freikaufte, die unter dem Gesetz sind, damit sie Kinder Gottes werden. Hier ist in jedem Fall das jüdische Gesetz gemeint. Paulus meint mit dem Gesetz die Thora, also dir Bücher des Mose, und die mündliche Thora, die vielen Gebote die hinzu gekommen sind. Das Gesetz hat Menschen geknechtet. Gerade im Galaterbrief ist Paulus das wichtig. Lasst euch die Freiheit nicht wieder nehmen, fordert er. (Gal 5)

„Das Gesetz kann von mir nichts mehr fordern, denn ich bin für das Gesetz tot. (…) Jetzt aber lebe ich für Gott! … Christus lebt in mir!“ schreibt Paulus im 2. Kapitel. „Wer hat euch verhext?“ fragt er die Galater im 3. Kapitel (3,1). „Habt ihr Gottes Geist empfangen, weil ihr das Gesetz befolgt habt? Oder weil ihr das Evangelium angenommen und Jesus Christus vertraut?“ (3,2)  Wenige Verse vor unseren schreibt er: „Bevor Gott uns diesen neuen Weg eröffnet hat, waren wir im Gefängnis des Gesetzes eingesperrt, (…) so lange, bis Christus kam (…) Darum stehen wir nicht mehr unter dem Gesetz!“ (3, 23-25)

Das Leben soll nicht mehr durch hunderte von Geboten bestimmt sein, sondern von der Liebe Gottes, von Christus, von Gottes Geist in uns. „Bei Gott zählt der Glaube, der in tätiger Liebe sichtbar wird!“ (5, 6b) scheibt Paulus. – Wieder nur ein Nebensatz in unserem Text, aber für Paulus ist es das Evangelium: Der Sohn Gottes war unter das Gesetz getan, damit er uns vom Gesetz befreite und wir Kinder Gottes werden.

Er, der Weihnachten geboren ist, er hat uns freigekauft wie auf einem Sklavenmarkt: Menschen stehen zum Verkauf, ausgeliefert in die Hände ihrer Sklaventreiber: Dem Tod, der Sünde, und für Paulus gehört auch der damalige Umgang mit dem Gesetz dazu. Da kommt einer, stellt sich vor die Sklaven, und sagt: „Ich tausche! Du sollst Kind Gottes sein und ich ein Sklave! Du sollst frei sein! Es ist alles bezahlt, was du schuldig warst!“

Erlöst vom Gesetz, damit wir als Söhne und Töchter angenommen würden. Das ist nicht schon Weihnachten passiert. In einigen Predigten habe ich gelesen, dass wir Weihnachten Kinder Gottes würden. Weihnachten beginnt der große Tausch Gottes, vollzogen wird er am Kreuz und durch das leere Grab, durch Jesu Auferweckung. Und Kinder Gottes werden Menschen, die Gott vertrauen in dem, was er getan hat. „All denen jedoch, die ihn aufnahmen und an seinen Namen glaubten, denen gab er das Recht, Gottes Kinder zu werden!“ lesen wir in der Einleitung zum Johannesevangelium. (Joh 1, 12)

Paulus kann Weihnachten nicht ohne Karfreitag denken. Und wie wir gleich sehen werden, auch nicht ohne Ostern und Pfingsten. Karfreitag wird der Tausch bezahlt. Da werden wir freigekauft. Ohne Karfreitag wäre Weihnachten nur eine rührselige Geschichte! Eine Erinnerung an eine Geburt unter schwierigen Umständen. Weihnachten kann man nicht ohne Karfreitag verstehen. Und Karfreitag kann man nicht ohne Weihnachten und Ostern verstehen. Da stirbt nicht irgendein Mensch für uns am Kreuz. Es ist Gottes Sohn, Gott selbst Mensch geworden, der auf Golgatha leidet. Die großen christlichen Feiertage hängen alle zusammen.

Ostern bestätigt Karfreitag und Weihnachten! Ostern sagt Gott: Das stimmt, was Jesus von sich gesagt hat! Das stimmt, dass dieses Baby mehr als ein Baby war. Das stimmt, dass ihr jetzt erlöst seid von allen Versuchen euch selbst zu retten. Ostern unterschreibt Gott unsere Erbscheine. Ohne Ostern wäre Weihnachten ein Irrtum! Dann wäre es doch nicht Gottes Sohn gewesen. Und Karfreitag wäre ohne Ostern ein sinnloses Leiden, eine Anmaßung: Dass der Tod eines Menschen uns vor Gott gerecht machen könnte.

Weihnachten kann man auch nicht ohne Pfingsten feiern. Was hätten wir davon, Erben Gottes zu sein, wenn wir nicht an unser Erbe herankämen? Was hätten wir davon, Kinder Gottes zu sein, wenn wir keinen Zugang zum Vater hätten? Wenn keine Beziehung zu ihm wachsen könnte? Pfingsten ist das Fest, an dem wir das Kommen des Heiligen Geistes feiern. Ohne den Heiligen Geist bleibt alles, was Gott in Jesus Christus für uns getan hat, weit weg. Es bleibt Theorie oder Geschichte.

Mit dem Heiligen Geist kommen Vater und Sohn in unser Herz. Ohne Gottes Geist wären wir Gottes Kinder auf dem Papier! Darum schreibt Paulus: „Weil ihr nun aber Gottes Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsere Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!“

Der Württemberger Pfarrer Friedrich v. Bodelschwingh hat gesagt:  “Wenn Jesus tausendmal nach Bethlehem kommen würde, und käme doch nicht in unser Leben, so sind wir ewig verloren.” Ohne Pfingsten ist Weihnachten ein Kindergeburtstag oder eine Geschichtsstunde. Der da in der Krippe liegt, der will bei uns wohnen. Er ist für uns gestorben, er ist auferstanden, er lebt in seinem Geist in uns und will uns zu lebendigen Kindern Gottes machen.

Was es heißt, Gottes Kind zu sein, macht Paulus an unserer Beziehung zum Vater und am Gebet deutlich. Wir dürfen Abba zu Gott sagen. Abba, Vater. Gottes Geist treibt uns dazu. Er schenkt uns dieses Vertrauen, diese Freiheit im Gebet. Ganz vertraut dürfen wir kommen und ihn ansprechen. Wir dürfen viele Ehrentitel Gottes verwenden: Allmächtiger, Ewiger, Schöpfer. Aber das Größte ist, das Wunderbarste, worin unser ganzer Trost liegt, ist, dass wir Vater sagen dürfen. Der Geist ruft es in uns. Er ässt es uns rufen.

Abba ist nicht die respektvolle, offizielle Bezeichnung von Vätern. Abba ist die Koseform, die vertraute, familiäre Anrede von Kindern. Papa würden wir sagen. Auch das Vater Unser beginnt in seiner ursprünglichen Fassung mit diesem Wort. Abba. Unser Papa. Das ist die Krönung, die Summe des Evangeliums. „Weil ihr aber Gottes Kinder seid, darum hat Gott den Geist seines Sohnes in eure Herzen gesandt, der da ruft: Abba, lieber Vater!“

Den Geist seines Sohnes heißt es, weil es derselbe Geist ist, den Jesus hatte. Den Geist seines Sohnes heißt es, weil er den Sohn verherrlicht, uns an den Sohn erinnert, weil er den Sohn in uns stark macht. Der Heilige Geist ist Christologe, hat der baptistische Theologe Adolf Pohl gesagt. Er lehrt uns Christus!

Wir dürfen Abba, lieber Vater, sagen. Die Freiheit beim Beten steht für Paulus für die ganze Freiheit der Kinder Gottes. So darfst du Gott anreden. So wirst du ihn erfahren. Als den Vater, der dich liebt. Diese Anrede steht für die Beziehung, die Gottes Geist uns schenkt. Was dieses in Bethlehem geborene Kind zu Josef gesagt hat, das darfst du zu Gott sagen! Abba! Was für ein Tausch! Das ist Weihnachten!

Paulus sagt, was Weihnachten begonnen hat:
Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unters Gesetz getan, damit er die unter dem Gesetz erlöste und wir die Kindschaft erhielten. Weil ihr aber Gottes Kinder seid, darum hat Gott den Geist seines Sohnes in eure Herzen gesandt, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun kein Sklave mehr, sondern Kind! Wenn aber Kind, dann auch Erbe. – Und alles durch Gott!

Als ich Student in Hamburg war, gab es Studentenandachten. Einmal hielt einer eine Andacht, der in den Semesterferien in Israel gewesen war. Zum Ende der Andacht bekam unser Mitstudent einen Kloß im Hals. Er war noch so gerührt von dem, was er erzählen wollte. Er hatte auf dem Flughafen von Tel Aviv auf seinen Flieger gewartet. Neben ihm saß eine jüdische Mutter mit Kind. Der Kleine war vielleicht 4 oder 5 Jahre alt und er war aufgeregt. Fröhlich aufgeregt. Immer wieder wollte unserem Mitstudenten etwas erzählen, der aber verstand ihn nicht. Der kleine sprach Iwrit, die Sprache Israels. Auch die Mutter konnte keine Verständigung herstellen. Dann kamen Passagiere eines angekommenen Fliegers in die Halle und der Kleine sprang auf,  lief auf einen Mann zu und rief ganz laut:  „Abba. Abba. Abba!“ Und er fiel ihm in die Arme. Und der Vater wirbelte sein Kind fröhlich im Kreis herum.

Diese Freude liegt in der Abba-Anrede. So dürfen wir Abba zu Gott sagen. Das ist das Ziel von Weihnachten. Nicht, dass wir sagen: „O wie süß. Seht doch nur das Kindelein in der Krippe!“ Der Sinn von Weihnachten ist, dass wir selbst Kinder werden! Dass wir Kinder werden und zum Vater laufen und rufen: „Abba, Abba!“

Ich komme zum Schluss. Man könnte denken, die Engel sind die höchsten Wesen an der Krippe, himmlische Mitbewohner. Nein, wir sind es, die Gott dem Vater und dem Sohn vertrauen du Kinder Gottes werden. Abba rufen dürfen nicht einmal die Engel! Das ist allein den Kindern Gottes vorbehalten! Und die Engel, sie beneiden uns!

Amen

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