Hesekiel 37, 1-14 Gottes Geist macht Tote lebendig

Pfingsten, 19.05.2024

Liebe Gemeinde,

bevor ich den Predigttext lese, habe ich eine Vorbemerkung. Neun Mal kommt in der Übersetzung von Martin Luther das Wort Odem vor. Odem ist das alte Wort für Atem. Hebräisch heißt es „ruach“. „Ruach“ aber kann man übersetzen mit Atem oder Geist oder Wind oder Hauch. Immer steht das gleiche hebräische Wort dahinter. Es gibt kein anderes Wort für Geist oder für Atem. Man könnte also auch  statt von Gottes Geist von Gottes Atem reden oder Gottes Windkraft.

An einigen Stellen in unsrem Text müsste man Ruach meine ich mit Atem übersetzen, an anderen Stellen mit Geist. Der Geist Gottes gibt dem Menschen ihren Atem. Gottes Geist ist ein Schöpfergeist; er schenkt Menschen neues Leben. Aber hört selbst. Ich lese Hesekiel 73, 1-14 nach der Übersetzung von Martin Luther.  Wo er Odem übersetzt, kann also auch mit Atem oder Geist übersetzt werden.

Des HERRN Hand kam über mich und er führte mich hinaus im Geist des HERRN und stellte mich mitten auf ein weites Feld; das lag voller Totengebeine. Und er führte mich überall hindurch. Und siehe, es lagen sehr viele Gebeine über das Feld hin, und siehe, sie waren ganz verdorrt. Und er sprach zu mir:   Du Menschenkind, meinst du wohl, dass diese Gebeine wieder lebendig werden? Und ich sprach: HERR, mein Gott, du weißt es.

Und er sprach zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen:  Ihr verdorrten Gebeine, hört des HERRN Wort!  So spricht Gott der HERR zu diesen Gebeinen: Siehe, ich will Odem (oder Atem/ Geist) in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet. Ich will euch Sehnen geben und lasse Fleisch über euch wachsen und überziehe euch mit Haut und will euch Odem geben, dass ihr wieder lebendig werdet; und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin.

Und ich weissagte, wie mir befohlen war. Und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte sich und die Gebeine rückten zusammen, Gebein zu Gebein.  Und ich sah, und siehe, es wuchsen Sehnen und Fleisch darauf und sie wurden mit Haut überzogen; es war aber noch kein Odem in ihnen.

Und er sprach zu mir: Weissage zum Odem (Geist!); weissage, du Menschenkind, und sprich zum Odem (Geist!): So spricht Gott der HERR:  Odem, (Geist) komm herzu von den vier Winden und blase diese Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden! Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam der Odem in sie und sie wurden wieder lebendig und stellten sich auf ihre Füße, ein überaus großes Heer.

Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt und unsere Hoffnung ist verloren und es ist aus mit uns. Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will eure Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe euch ins Land Israels. Und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole. Und ich will meinen Odem in euch geben, dass ihr wieder leben sollt, und will euch in euer Land setzen, und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin. Ich rede es und tue es auch, spricht der HERR.

Ein grausiges Bild mit einer großen Verheißung.

Hesekiel lebte in den Jahren vor und nach der Zerstörung Jerusalems. 597 vor Christus wurde er in der ersten Verschleppung zusammen mit vielen aus der Oberschicht Israels nach Babylon verschleppt. Die Kämpfe um Jerusalem gingen weiter. Einige Könige Jerusalems wechselten in kurzer Zeit. 10 Jahre später aber, 497, wurde Jerusalem endgültig erobert und zerstört. Auch den Tempel gab es nicht mehr. Große Teile der Bevölkerung wurden in langen Kolonnen nach Babylon verschleppt. Jerusalem und das Königreich Juda existierten nicht mehr. Und das ganze Volk wähnte sich von Gott aufgegeben, verlassen, ohne jede Hoffnung, nie wieder würden sie Babel verlassen können.

In der gerade gelesenen Vision Hesekiels wird die Selbsteinschätzung der Menschen zitiert:  ‚Unsere Gebeine sind vertrocknet, unsere Hoffnung ist dahin; wir haben keine Zukunft mehr!‘  So denkt und fühlt das Volk von sich selbst. In dieser Situation spricht Gott zu Hesekiel. Er soll das Volk trösten.  Ihr Leben ist noch nicht zu Ende. Gott will neu mit ihnen anfangen. War es ein Traum?  Eine Vision mitten am Tag? Hesekiel gibt es so weiter: „Des HERRN Hand kam über mich und er führte mich hinaus im Geist des HERRN und stellte mich mitten auf ein weites Feld.“

Auf dem Feld liegen Knochen. Totengebeine. Das ganze Feld voller Knochen. Hesekiel erkennt schnell: Das sind Menschenknochen. Völlig ausgetrocknet. Alles Fleisch verwest oder von Tieren gefressen. Ein riesiger Friedhof. Gott führt ihn durch die Totengebeine hindurch und fragt den Propheten: „Meinst du, dass diese Gebeine jemals wieder lebendig werden?“ Hesekiel überlegt:  Nach mensch­licher Vorstellung ist das unmöglich. Menschlich muss man sagen: Es ist aus mit ihnen. Aber Gott ist ja all­mächtig. Darum antwortet er: „Herr, mein Gott, du weißt es.“

Da trägt Gott ihm auf: „Predige diesen ver­witterten Knochen, dass mein Geist über sie komme und sie wieder lebendig werden!“ Auch hier steht im Hebräischen das Wort Ruach. Dasselbe Wort finden wir 1. Mose 2 bei der Erschaffung des Menschen: Gott blies Adam „den Odem des Lebens“ ein, heißt es da. Man kann auch sagen: „den Geist des Lebens“. Etwas Ähnliches soll jetzt passieren. Ein Neuanfang Gottes aus dem Nichts! Die Erinnerung an die Schöpfungsgeschichte ist deutlich.

Der Heilige Geist hat mit Luft, Atem und Wind zu tun; auch Pfingsten kann man es sehen: Ein starker Wind gehörte zu den äußeren Zeichen, mit denen der Heilige Geist damals zu den Jüngern kam. Im grie­chischen Original­text der Pfingst­geschichte und im ganzen Neuen Testament wird Gottes Geist „Pneuma“ genannt, das bedeutet ebenfalls Wind, Hauch oder Atem.

Wind und Atem machen etwas vom Wesen von Gottes Geist deutlich: Er selbst ist unsichtbar, aber seine Wirkung ist wahr­nehmbar. Man hört das Rauschen des Windes und sieht, was er tut: Die Blätter an den Bäumen bewegen sich, das Kornfeld wogt. Ebenso hört man den Atem und sieht, was er tut: der Atmende lebt. Ebenso kann man sehen, was der Heilige Geist tut.

Auch Hesekiel hört es rauschen. Ist es der Wind, der rauscht, oder sind es die Knochen, die sich rauschend aufeinander zu bewegen? Ober­schenkel rücken an Becken­knochen, Schädel an Halswirbel, Armknochen an Schulter­knochen, Wirbel rücken in der rechten Reihenfolge zusammen. Alles wird neu geordnet. Gottes Geist fügt alles zu einer guten Ordnung zusammen. Auch das ist eine Erinnerung an die Schöpfungsgeschichte: Das Chaos wird neu geordnet.

Dann entstehen, wachsen aus dem Nichts, Fleisch, Sehnen, Blutgefäße, Haut. Eine neue Schöpfung wo alles wie tot dalag, wo keiner mehr Hoffnung hatte, wo alles Leben schon entwichen war. Bald liegen auf dem Schlacht­feld keine Knochen mehr, sondern voll­ständige Leichname, Menschen­leiber. Aber das Entscheidende fehlte noch: Der Atem. Das Leben. Ohne Atem, ohne Geist, sind es wieder nur tote Leiber, unbeweglich, der Verwesung ausgesetzt. Gottes Geist bringt das Leben. So wie Gott einst Adams Körper aus Erde formte. Aber es fehlte noch etwas, das Ent­scheidende: Leben. Atem. Gott hauchte ihn an und er wurde eine lebendige Seele. Schöpfung und Neuschöpfung aus dem Nichts.

Was Hesekiel hier sieht, das tun nicht die Menschen selbst. Sie reißen sich nicht noch einmal zusammen, sie fügen nicht alles wieder zusammen, was bei ihnen tot ist. Sie lassen ihr Fleisch oder ihre Muskeln nicht wieder wachsen. Es ist Gott selbst, der durch seinen Geist eingreift. Er hilft Totem wieder zum Leben. Er fügt Zerbrochenes, Verdorrtes wieder zusammenfügt.

Dann deutet Gott Hesekiel das, was er in der Vision zu sehen bekommt:

Du Menschensohn, diese Gebeine sind das Haus Israel. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt und unsere Hoffnung ist verloren und es ist aus mit uns. Darum prophezeie es ihnen: So spricht Gott der HERR: Passt auf, ich will eure Gräber öffnen und euch herausholen und euch ins Land Israels bringen. Ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch heraufhole. Und ich will meinen Odem in euch geben, dass ihr wieder leben sollt. Ich rede es und tue es auch, spricht der HERR. (ab V11, etwas gekürzt)

Noch ist nichts zu sehen davon, dass Gott handelt. Jesaja aber soll es predigen, ansagen, voraussagen. Was sie jetzt erleben, ist nicht das Ende. Gott wird eingreifen und sie herausholen. Was uns wie tot erscheint, wird er wieder zum Leben erwecken. So ist Gott. Der Schöpfer und der Neuschöpfer.

Was Hesekiel gesehen und verkündigt hat, passiert wirklich. Rund 50 Jahre nach der zweiten großen Verschleppung nach Babylon, 539 vor Christus, erobert der Perserkönig Kyros Babel und lässt die Juden in ihre Heimat zurückkehren. Erstens also: Gott hält Wort. Das Vorausgesagte trifft ein. Allerdings nicht sofort. Geduld und Vertrauen sind nötig.

Zweitens: Das Volk lernt es wieder einmal: Gott ist gnädig. Gott will sie von sich aus wieder herstellen. Sie hatten vorher nicht auf ihn und seine Propheten gehört, sie sind nicht unschuldig in diese Gefangenschaft geraten, Gott aber rechnet nicht auf, trägt nichts nach, klagt nicht an. Er will gnädig sein. Er will neues Leben schenken. Er hält fest an seinem Volk. Die Vision der neu belebten Totengemeinen ist eine Vision von der Gnade Gottes. Das Volk kann nichts mehr zu seiner Rettung tun, Gott aber will sie retten und wieder herstellen  und er tut es. Erstens:  Gott hält Wort. Zweitens: Gott ist gnädig.

Drittens ist diese Vision wie eine Vorgeschichte von Pfingsten, das „Pfingsten des Alten Bundes“. Gottes Geist kommt, stellt wieder her, heilt, stellt wieder auf die Beine. Hesekiel sieht, was Gottes Geist wirken will.

Viertens sieht Hesekiel, dass Gott stärker ist als der Tod. Gerne wird dieser Text auch zum Ewigkeitssonntag gepredigt. Wir sehen Menschen sterben, Gott sieht schon, wie herrlich sie dann leben werden. Wir sehen hier, wenn Menschen sterben, ein absolutes Ende. Da ist nichts mehr zu machen. Gott sieht den neuen Anfang. Er wird sein Volk aus ihren Gräbern herausholen. Der Tod hat nicht das letzte Wort!

Die Vision von den Totengebeinen zeigt Gottes Gnade und weist auf seinen Sieg über den Tod hin. Und zuletzt soll dieser Text uns heute für unsere Leben ermutigen. Wüstenerfahrungen gibt es in jedem Leben. Menschen fühlen sich wie gefangen, wie verschleppt in ein Leben, dass sie so nie wollten. Traumatisiert.  Kommen aus einer Schlinge nicht heraus, die sie sich selbst gelegt haben.

Menschen sind ausgebrannt. Alles ist verbrannt, ihr Mut, ihre Kraft, ihre Freude. Sie fühlen sich leer.  Möchten nur noch liegen bleiben. Der Tod ist in das Leben anderer Menschen getreten. Trauer, Einsamkeit. Erinnerungen an die frühere Einheit mit einem Menschen, den man liebte und von dem man geliebt wurde, sie tun noch weh, man sehnt sich danach zurück, aber es gibt kein zurück. Kein Sinn mehr, kein Leben mehr.

Das Bild von den Totengebeinen drückt die Verzweiflung aus, die auch Menschen heute fühlen können. Für sie ist es eine starke und tröstende Vision der Hoffnung! Auch wenn wir uns wie verbrannt, verdorrt, wie tot fühlen: Gott ist noch lange nicht am Ende. Er will uns wiederherstellen, von sich aus. Er will uns neues Leben schenken, Mut, Freude.

Vielleicht müssen wir dann unseren Knochen predigen: Du, meine Angst, du wirst noch tanzen in der Freiheit, die Gottes Geist dir schenken wird. Du, meine Trauer, sei traurig, aber wisse: Gottes Geist wird auch dich verwandeln. Ihr, meine Schmerzen, ihr werdet noch sehen, wie Gott euch sein Heil schenkt. Du, meine kleine verletzte Seele, singe!

Gott vergisst uns nicht. Gottes Geist will unseren Knochen neues Leben schenken!
Der Tod ist überwunden, jetzt und dann einmal, wenn wir sterben werden.

Amen

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