Lukas 16, 19-31 Wer die Armen vergißt

02.06.2024

Ich weiß nicht, ob es euch auch so geht:
Das Leben von reichen Menschen kann faszinierend sein. Eine große Villa neben der anderen. Großes Schiebetor. Riesiger Garten. Total gepflegt. Teure Autos vor der Tür.  Ein Ferienhaus am Meer. Ein Ferienhaus in den Bergen. Jedes Jahr lange Urlaube in aller Herren Länder. Das Leben der Reichen kann faszinierend sein. Als hätten die Götter sie besonders lieb. Nur der eine Gott, der denkt anders.

Was für reiche Menschen fallen euch ein? Wen kennt ihr mit Namen?

  • Die Albrecht-Brüder vielleicht. Mit 14 und 16 Milliarden Dollar sind sie nur noch auf Platz 6 und 8 in Deutschland.
  • Bill Gates kennt man. Sein Vermögen wird auf 130 Milliarden Dollar geschätzt.
  • Jeff Bezos, u.a. Gründer und Eigner von Amazon wird auf 206 Milliarden Dollar geschätzt. Das sind 206 mal 1000 mal 1 Million Dollar.
  • Christiano Ronaldo verdient 126 Mio. Dollar pro Jahr.
  • Leonid Messi ebenfalls 10 Mio. Dollar pro Monat.

Für die Reichen gibt es Ranglisten. Wer führt sie an, die Liste der Reichsten? Wer verfolgt oder überholt gerade wen? Als wäre Reichsein ein Sport, ein harmloser Sport. Jeder vergleicht sich mit anderen und  muss noch mehr haben. In der Bibel gibt es eine Geschichte von einem Reichen. Jesus hat sie erzählt. Ich lese Lukas 16, Verse 19- 21:

19 Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbarem Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. 20 Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voll von Geschwüren 21 und begehrte sich zu sättigen mit dem, was von des Reichen Tisch fiel; dazu kamen auch die Hunde und leckten seine Geschwüre.

Es war einmal, fängt Jesus an. So wie Märchen beginnen. Da war ein reicher und ein armer Mann. Der Reiche kleidet sich in Purpur und kostbarem Leinen. Der Stoff, aus dem die Träume sind. Es geht ihm gut. Er ist gesund. Hat alles, was sein Herz begehrt. Im Überfluss!  Sein ganzes Leben ist ein Fest. Er braucht nicht mehr arbeiten. Seine Untergebenen arbeiten für ihn. Er ist reich und wird immer reicher auf Kosten anderer.

Der Arme liegt direkt vor der Tür des Reichen. Sie leben in Sichtweite. Er hat Hunger, würde sich über ein paar Reste von den Partys des Reichen freuen. Sein Körper ist voller Geschwüre. Die Straßenhunde lecken ihm die Wunden. Er stinkt. Seine Kleider sind zerrissen. Und in allem Leid muss der Arme sehen, wie der Reiche lebt. Wie eine andere heile Welt auf derselben Welt, in derselben Stadt.

Der Reiche hat nichts Böses verbrochen. Er ist kein Dieb, kein Gangster, kein Betrüger. Er hat sich seinen Wohlstand redlich verdient oder geerbt. Aber der Arme interessiert ihn nicht. Sein Elend würde die heile Welt des Reichen verdunkeln, hinterfragen, erschweren. Man kann keinen Cocktail trinken und dabei an den Armen vor der Haustür denken.

Der Name des Reichen interessiert Jesus nicht. Es geht nicht um das, was diesen Reichen von anderen Reichen unterscheidet. Natürlich gibt es sympathische Reiche und unsympathische, bescheidene und gierige Reiche, fromme und gottlose. Das weiß Jesus. Aber der Reiche in dieser Geschichte erscheint nicht als Individuum, sondern als Vertreter seiner Klasse.

Anders als dem Reichen gibt Jesus dem Armen einen Namen. Lazarus heißt er. Das heißt „Gott hilft“. Armut ist nichts Abstraktes. Armut kann man nicht in Zahlen und Tabellen fassen.  Armut hat ein Gesicht und hat Namen. Armut ist immer konkret, sie betrifft Menschen. Jesus kennt seinen Namen. Wie viele Arme kenne ich mit Namen? Aus der Nachbarschaft, von der Straße, aus einer Selbsthilfegruppe? Wie viele leben in Sichtweite von mir?

Ich habe eine Frau aus unserer Gemeinde besucht. Sie heißt Solveig mit Vornamen. Wir hatten ein Dienstgespräch. Es klingelte. Eine offensichtlich obdachlose Frau klingelte. „Ich habe gerade Besuch“ sagte Solveig, „komm doch nachher zu einem Kaffee vorbei.“ „Eine Freundin von mir“ sagte Solveig. Und wir arbeiteten weiter. Jesus fordert im Gleichnis vom barmherzigen Samariter, dass wir unsere Nächsten lieben sollen – und zwar: so wie uns selbst! Wer ist denn das. Mein Nächster? Wer ist denn die Nächster?

Ich lese die Verse 22 – 24:

22 Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben. 23 Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. 24 Und er rief: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen.

Wer auf der Erde reich und geizig ist, wird im Himmel arm und durstig sein. Nach dem Motto „Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Gott nimmt es ernst, wie wir leben. Wie wir hier leben, das wirkt sich aus auf unsere Ewigkeit. Zumindest in dieser Geschichte von Jesus. „Wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat.“ Schreibt Paulus den Korinthern. (2. Kor 5,10) .

Jesus lässt die beiden in seiner Geschichte sterben. Für den Reichen wird es eine standesgemäße Beerdigung gegeben haben. Wer etwas auf sich hielt, kam zu seiner Trauerfeier. Festlich gekleidet. Lange Reden. Musik vom Feinsten. Festlich gedeckte Tische für die Nachfeier.

Jesus sagt nicht, wie der Arme unter die Erde kam. Vielleicht gab es schon so etwas wie eine Sozialbestattung. In Berlin habe ich das erlebt. Ein Friedhofsangestellter kommt aus der Friedhofskapelle, trägt eine Urne, mit würdige Schritt, setzt sie direkt neben die vorherige Urne in die Erde. Die Dame, die das in Berlin gemacht hatte, blieb noch einen Moment stehen und sprach ein Gebet. Kein Gottesdienst, keine Musik, keine Nachfeier.

Der Arme aber wird von Engeln in den Schoß Abrahams getragen. Jesus benutzt die damaligen Bilder für den Trost und das Heil der Gerechten nach ihrem Tod. Abraham war ein Vorbild des Glaubens, der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit. In seinem Schoß erfährt der Arme Gerechtigkeit.

Der Reiche landet im Hades, so heißt es hier im Griechischen. Für die Hölle gibt es eigentlich ein anders Wort. Der Hades kommt als Totenreich oder Zwischenreich auch in der altgriechischen Literatur vor, so in der Odyssee von Homer, als Odysseus das Totenreich besucht.

Der Reiche jedenfalls kann Abraham und Lazarus sehen. Es ist heiß. Der Reiche hat Durst. Und er fängt an zu verhandeln. Er spricht Abraham als Vater an. Eine vertraute Anrede. Der Reiche ist ein normaler religiöser Jude.  Abraham spricht ihn mit „mein Sohn“ an. Der Reiche bittet Abraham, seine Qualen zu lindern. Er soll Lazarus zu ihm schicken. Es scheint so, als wäre der Reiche immer noch in seiner Welt. Er spricht den Armen nicht direkt an.  Der Boss, der Chef, Abraham soll ihn schicken, so kennt der Reiche das. Wasser bringen, das können die Armen gut.

Interessant aber: Er kennt den Namen von Lazarus. Er hat gewusst, wer da vor seiner Tür liegt. Vielleicht hat er sich sogar einmal erkundigt. Aber er hat nichts getan. Alles frommes Gerede mal vom Tisch: Das Elend dieses Armen hat ihn kalt gelassen. Der, für den er nie einen Finger krumm gemacht hat, soll jetzt zu ihm kommen, seine Finger ins Wasser tauchen und seinen Mund befeuchten.

Ich lese die Verse 25+26:

25 Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet und du wirst gepeinigt.
26 Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüberwill, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.

Man spürt das Bedauern in Abrahams Antwort. Der Reiche leidet jetzt, was Lazarus im Leben gelitten hat. Darüber hinaus gibt es eine Kluft zwischen ihnen, die man von keiner der beiden Seiten überwinden kann. Eine Kluft bestand auf Erden zwischen Reich und Arm.

Ich habe gelesen, dass nach einer Studie von Oxfam vom Vermögenszuwachs, der 2020 und 2021 in Deutschland erwirtschaftet wurde, 81 Prozent auf das reichste eine Prozent der Bevölkerung entfielen. Wären wir eine Firma mit 100 Leuten, die 100.000 Euro Gewinn gemacht hätte – dann bekäme der mit dem Abstand Reichste von uns einen Bonus von 81.000 Euro. Die restlichen 19.000 würden unter die anderen 99 verteilt, die genauso gearbeitet haben. Das ist keine Ausnahme. Das ist die Regel. Jedes Jahr.

Kein Wunder, dass sich die Armut ständig weiter verschärft. Jedes fünfte Kind in Deutschland gilt nach einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung mittlerweile als arm. Sie haben kein eigenes Zimmer, werden nicht unterstützt, bekommen kein gesundes oder regelmäßiges Essen, Geburtstagsfeiern, Schulfreizeiten, Hobbies, Kinobesuche sind kaum bezahlbar. Und andere Kinder in der Schule verfügen über eigenes Geld, erzählen von Pferden, von Urlauben, haben ein neues Tablet, und Kinder aus armen Verhältnissen stehen beschämt daneben.

Eine Kluft besteht auf Erden zwischen Reich und Arm. Eine Kluft auch in den Herzen und in den Köpfen. In der Geschichte von Jesus werden die Rollen vertauscht nach dem Leben und die Kluft wird unüberbrückbar.

Dann wird der Reiche doch scheinbar sozial.
Ich lese die Verse 27-31:

27 Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; 28 denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. 29 Abraham sprach: Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören. 30 Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. 31 Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.

Als der Reiche merkt, dass er für sich nichts mehr tun kann, denkt er an seine Sippe, seine Familie, seine Brüder.  Allerdings nur an seine Brüder. Seine Familie ist ihm heilig. Ist doch klar:
Den eigenen Kindern, den eigenen Geschwistern, ihnen soll es gut gehen. Sie müssen gewarnt werden. Alle anderen sind ihm egal. Die Reichen haben ihre eigenen Leute im Blick.
Lazarus – immer noch Dienstbote – soll die Brüder warnen.

Auch dies lehnt Abraham ab. Sie haben Mose und die Propheten. Die sollen sie lesen. Auf die sollen sie hören. „Deine Brüder haben alles, was sie brauchen.“ sagt er. „Was du ihnen wünschst, das haben sie schon: Menschen, die ihnen Gottes Wort sagen.  Menschen, die sie warnen, was nach dem Tod kommen kann. Die sollen sie hören. Wenn sie auf diese Menschen nicht hören wollen, dann werden sie auch nicht auf einen hören, der von den Toten wiedergekehrt ist.“

Was können seine fünf Brüder bei Mose und en Propheten lesen?
Ich lese nur einige Worte aus dem Alten Testament:

  • “Wenn ein Fremder bei euch im Lande wohnt, den sollt ihr nicht bedrücken.
    Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer und du sollst ihn lieben wie dich selbst.”
    (3. Mos 19, 33)
  • „Es soll bei dir keinen Bedürftigen geben“ (5. Mose 15,4).
  • “Tu deinen Mund für die Stummen auf und für die Sache aller, die verlassen sind. Tu deinen Mund auf und schaffe Recht dem Elenden und dem Armen.” (Sprüche 3, 18)
  • Wer Geld liebt, wird niemals vom Geld satt, und wer Reichtum liebt, wird keinen Nutzen haben. Das ist alles umsonst. (Prediger 5,9)
  • “Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!” (Jesaja 58,7 )

Eine Predigt von Uland Spahlinger (s.u.) fängt so an:
„In dem Münchner Stadtviertel, in dem ich lange Zeit gewohnt habe, gab es eine dunkelgrüne Luxuslimousine, auf die hatte ihr Besitzer hinten einen Aufkleber gesetzt: „Eure Armut kotzt mich an!“ Man könnte meinen, das wäre ironisch gemeint. Nein, der das hinten auf seine Karosse geklebt hatte, meinte das auch so. Er will die Armut anderer nicht in seinem Leben haben.

In einer anderen Predigt las ich von Pater Benigno Beltran, einem katholischen Geistlichen, der 30 Jahre auf “Smokey Mountain”, dem Müllberg von Manila lebte. Bei Menschen, die in dem stinkenden, qualmenden Wust nach Metall und Plastik suchten, das sie verkaufen konnten, oder nach etwas, was noch essbar schien.

Pater Beltran schreibt: “Viele Leute haben mich gefragt, warum ich mich entschieden habe, auf Smokey Mountain zu bleiben. Sie unterstellen dabei, dass ich eine Wahl hatte. Ich erzähle ihnen dann immer: […] Ich bin nicht auf den Smokey Mountain gezogen, um die Müllsammler zu retten. Ich ging da hin, damit die Müllsammler mich retten.” (zitiert nach Peter Aschoff, s.u.) Er hat entdeckt: Den Bezug zu den Armen zu verlieren heißt, den Bezug zu Gott zu verlieren.

Die Reichen würden auch nicht auf jemanden hören, der von den Toten auferstanden ist. Sie haben alles, was sie brauchen. Sie müssen es nur lesen, hören, mich ernst nehmen, gehorchen, nicht an ihrem Reichtum festhalten, wenn andere hungern oder leiden. Sie müssen aussteigen aus diesem Wettkampf, immer mehr haben zu wollen, mehr als sie je für ihr eigenes Leben brauchen.

Ein Reicher hat es schwer, in das Reich der Himmel hineinzukommen“, sagte Jesus. (Mk 10,21)
Der trügerische Reichtum erstickt das Wort, und das Wort bringt keine Frucht.“ sagt Jesus. (vgl. Matth 13,22)

Ich höre in der Geschichte vom Reichen und Lazarus nicht, dass Reichtum schlecht ist und Armut gut ist. Die Blindheit aber für die Not anderer, das Nichtwahrhabenwollen von der Armut unserer Nächsten, und das Nicht-Hören-Wollen auf Gottes Wort, das wird verurteilt. Reich zu sein, ist kein harmloser Sport. Da geht es nicht darum, wer der Erste ist. Reich zu sein, ist eine hohe Verantwortung.

„Selig sind, die Hunger und Durst nach Gerechtigkeit haben, denn sie sollen satt werden. Selig sind, die Barmherzigkeit üben, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren.“ (Matthäus 5,6+7)

 

Amen.

 

Einiges habe ich übernommen aus den Predigten von
Peter Aschoff, Sonntagsblatt 12.02.2023, sowie von
Uland Spahlinger, 16.06.2022, www.uzh.ch/predigten.

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