Lukas 17, 11-19 Der dankbare Samariter
Norbert Giebel, 10.9.2023
11 Auf seinem Weg nach Jerusalem zog Jesus durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa. 12 Kurz vor einem Dorf kamen ihm zehn Aussätzige entgegen; sie blieben in einigem Abstand stehen 13 und riefen laut: Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns! 14 Jesus sah sie an und sagte zu ihnen: Geht und zeigt euch den Priestern! Auf dem Weg dorthin wurden sie gesund. 15 Einer von ihnen kam zurück, als er sah, dass er geheilt war. Er pries Gott mit lauter Stimme, 16 warf sich vor Jesu Füßen nieder und dankte ihm. Dieser Mann war ein Samaritaner. 17 Jesus aber sagte: Sind denn nicht alle zehn gesund geworden? Wo sind die anderen neun? 18 Ist es keinem außer diesem Fremden in den Sinn gekommen, zurückzukehren und Gott die Ehre zu geben? 19 Dann sagte er zu dem Mann: Steh auf, du kannst gehen! Dein Glaube hat dich gerettet. Neue Genfer Übersetzung
Was für ein Glück, gesund zu sein, liebe Gemeinde!
Endlich wieder laufen können, zu seinen Freunden zurückzukehren, zur Familie, wieder eins mit ihnen zu sein, mitten im Leben zu stehen, nicht mehr ausgegrenzt zu werden. Zehn Aussätzige sind gesund geworden. Alle zehn sind zu Jesus gegangen. Alle zehn haben ihn angerufen, aus der Ferne, wie es sich gehörte für Leprakranke: Viel zu ansteckend diese schreckliche Krankheit: Lepra.
„Herr erbarme dich!“ haben sie gerufen. „Kyrie eleison!“ steht da auf Griechisch. „Herr, erbarme dich! Sieh uns an in unserem Elend. Hilf uns“. Das war nicht nur ein Schrei nach körperlicher Heilung. Das war schlimm genug, bei lebendigem Leibe abzusterben, zuzusehen, wie Ohren, Nase, Finger, Zehen verfaulen, abfallen.
Aussätzige wurden ausgesetzt. Das kam dazu. Wie Hunde, die keiner haben will, die man auf die Straße setzt. Sie durften sich ihren Familien und Freunden nicht nähern. Sie lebten in Ghettos, in Bruchhütten außerhalb der Orte. Sie mussten sich durch Klingeln, Klappern oder Rufe bemerkbar machen, damit sich ihnen Gesunde nicht näherten. „Aussatz, Aussatz!“ haben sie gerufen. „Bleibt weg von uns!“
Was für ein Glück, gesund zu sein. Immer wieder streichen sie sich über ihre glatte Haut. Bei jeder Gelegenheit suchen sie ihr Spiegelbild, in der Oberfläche des Wassers oder in den staunenden Augen der anderen.
Alle zehn haben „Kyrie eleison“ gerufen! Alle sind mit ihrem Leid zu Jesus gegangen. Alle zehn haben seinen Worten geglaubt. Er hat sie ja gar nicht gleich geheilt. Er hat sie nicht berührt, keine Hände aufgelegt, kein Machtwort gesprochen. Er hat sie zu den Priestern geschickt. Worum es dabei ging, war klar. Nur die Priester in Jerusalem konnten einen Aussätzigen wieder gesundschreiben, ihn für rein erklären.
„Geht und zeigt euch den Priestern!“ Das heißt so viel wie „Geht zum Gesundheitsamt und lasst euch gesundschreiben!“ Und weil besonders diese Krankheit mit persönlicher Schuld, mit Sünde verbunden wurde, mussten sie in Jerusalem verschiedene Opfer bringen. Aussätzige waren kultisch unrein. Denn Aussatz galt als Strafe Gottes für schwere Sünden.
Zwei Tagesmärsche waren es wohl bis nach Jerusalem. Vielleicht noch länger für sie. Es hatte sich doch noch nichts geändert. Sie humpelten immer noch. Sie mussten immer noch alle Gesunden vor sich warnen. Waren immer noch vom Aussatz gezeichnet. Glaube hat es auch mit Geduld zu tun. Sie müssen einen Weg gehen. Im Vertrauen. Sicher war der Weg beschwerlich. Aber sie gehen. Alle zehn vertrauen dem, was Jesus gesagt hat. Glaube hat es auch mit Geduld zu tun. In Geduld seinen Weg zu gehen bis zur Heilung, bis nach Jerusalem.
Aussatz war damals ein Sammelbegriff. Alles, was an der Haut nur ansteckend aussah, machte den Kranken unrein. Das Spektrum dürfte von Lepra bis zu Neurodermitis und anderen Hautausschlägen gereicht haben. Wie wird das wohl gewesen sein, als sie auf dem Weg gesund wurden? Vielleicht hat der eine es beim anderen zuerst bemerkt: „Dein Gesicht ist ja ganz glatt. Lass mal sehen, Nimm mal das Tuch vom Kopf!“ Dann hat ein anderer gesagt „Mein Fuß ist wieder ganz, meine Zehen sind wieder fest.“ Er ist gesprungen vor Freude, hat seine Krücken weggeworfen.
Irgendwie sind die Zehn auch ein Bild für die Gemeinde. Eine Gruppe von Menschen, die Jesus begegnet sind, die Jesus angesprochen hat, die auf sein Wort hin aufgebrochen sind und so etwas wie Heilung erleben, die ins wahre Leben zurückfinden.
Es ist nicht klar, ob sie überhaupt noch nach Jerusalem zu den Priestern gegangen sind, wie es das Gesetz des Mose forderte. Lukas berichtet es nicht. Vielleicht sind sie auch sofort umgedreht, nach Hause gelaufen, haben Frau und Kinder umarmt, vielleicht haben sie schon am Abend mit ihren Freunden gefeiert.
Sie alle waren dankbar! Keine Frage! Jesus, dieser Wunderheiler, dieser Rabbi, er hatte sie geheilt. Er hat ihnen ihr Leben zurückgeschenkt. „Endlich wieder gesund!“ haben sie gedacht. „Hauptsache gesund!“ haben sie gedacht. Aber nur einer von Zehn ist zu Jesus zurückgekehrt. Er hat Gott erkannt in dem, was ihm passiert ist. Er gibt Gott die Ehre. Laut lobt er Gott. Andere sollten es hören. „Gott sei Dank, ich lebe. Gott hat Großes an mir getan.“ Er fällt vor Jesus auf die Knie, mit dem Gesicht zum Boden, und er dankt ihm. Ein Zeichen der Demut, der Anerkennung, der Anbetung. Er wird gesund und er nimmt eine Beziehung zu Jesus auf. Er will verstehen, was da passiert ist. Er kommt zum Glauben an Jesus. Nicht als sein Wunscherfüller, nicht als sein Heiler, sondern als sein Herr.
„Dieser Mann war ein Samaritaner!“ erzählt Jesus in diesem Gleichnis. Das ist die Pointe. Das wird so machen Juden geärgert haben. Ausgerechnet ein Samaritaner erkennt den Messias in Jesus.
Jesus hatte früher schon ein Gleichnis mit dieser Pointe erzählt. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. (Lukas 10, 25ff) Da gerät ein Mann unter die Räuber, liegt schwer verletzt am Boden, fromme Juden gehen vorbei, helfen nicht, sie müssen zum Tempel, zum Gottesdienst, sie wollen sich nicht verunreinigen, nur einer hilft, fasst den Verletzten an, setzt ihn auf seinen Esel, bringt ihn in ein Hospital, zahlt die Rechnung, und dieser war ein Samaritaner.
In beiden Gleichnissen kündigt Jesus es an: Ungläubige, Heiden, werden Jesus als ihren Herrn annehmen. Ausgerechnet ein Samariter, jemand, der die falsche Bibel hat, jemand der nicht rechtgläubig ist in den Augen der Juden, jemand der an den falschen Orten Opfer bringt, jemand, der ganz falsch Gottesdienst feiert, jemand, der nicht das Richtige glaubt, so einer kommt zum Glauben an Jesus.
Samariter erkannten nur die Fünf Bücher Mose als heilige Bücher an. Und ihre Schriften wichen ab von der Thora der Juden. Sie hatten andere Überlieferungen. Sie haben nicht alle Texte der hebräischen Mosebücher übernommen. „Unsere Texte sind älter“, haben sie behauptet. Sie glaubten nicht alles, was die Juden glaubten, auch wenn sie an den gleichen Gott glaubten. Samariter und Juden lagen seit Jahrhunderten im Streit. Juden verachteten diese „Halbgläubigen“. Samariter verweigerten nach Jerusalem Reisenden die Gastfreundschaft. Nirgends hatten Juden mit Samaritern zu tun. So einer kommt zu Jesus, kommt zum Glauben, betet ihn an. Er wird nicht nur gesund, sein Leben wird anders.
Leid führt Menschen zusammen, die sonst nichts miteinander zu tun haben. Diese „Selbsthilfegruppe“ der Aussätzigen wird durch ihr gemeinsames Leiden zusammengehalten. Da fragt man nicht mehr, was der andere genau glaubt, wo er herkommt oder wie er tickt. In Selbsthilfegruppen, egal ob es Suchtkranke sind, Alkoholiker, Menschen mit Burnout oder Depression, oder Trauergruppen, da halten der Direktor und der Punker, der Asylant und der Banker zusammen. So war es auch hier.
Ausgerechnet dieser Halbgläubige kommt zurück zu Jesus. Ihn hat der Glaube nicht nur gesund gemacht, sondern ihn gerettet. „Steh auf“, sagt ihm Jesus. „Geh nach Hause! Dein Glaube hat dich gerettet!“ Jesus hat viele geheilt. Das Leid der Menschen hat ihn gerührt. Sie haben ihn darum gebeten und er hat sie geheilt. Jetzt geht es darum, für wie wenige ihre Heilung eine Erfahrung mit Gott geworden ist, wie wenige davon in ihrem Leben umkehren, wie viele Gott nicht in dem Glück erkennen, das er ihnen geschenkt hat.
Jesus sagte: „Sind nicht alle Zehn gesund geworden? Wo sind die anderen neun? Ist keiner zurückgekommen, um Gott die Ehre zu geben?“ Nur für den einen ist der Geber wichtiger als die Gabe. Er will nicht nur gesund sein, Glück im Leben haben, Schönes erleben, er will den kennenlernen, von dem alles Gute kommt.
Ich bin in Bremen aufgewachsen. Bremen Osterholz. Oma und Opa wohnten in Bremen Gröpelingen, das andere Ende der Stadt. Dennoch kam Oma an jedem Dienstag zu uns. Und in ihrer großen braunen Handtasche war immer eine Tafel Schokolade für uns. Wenn sie kam und klingelte, rannte ich an die Haustür, ließ Oma gar nicht hereinkommen, zog an ihrer Tasche, griff hinein und fand die Schokolade. Dann lief ich wieder weg. Bis meine Mutter mich einmal ermahnte, ob ich mich nicht viel mehr über Oma freute, dass sie da war, als nur über die Schokolade. Ob ich sie nicht erst einmal begrüßen und umarmen wolle. Ich hatte nur die Gabe gesehen, nicht die Geberin.
Gott kommt nicht nur einmal die Woche zu uns. Er kommt jeden Tag. Er weckt uns jeden Morgen. Es gibt keinen Tag ohne Geschenke von ihm. Er hat uns zu seinen Kindern gemacht. Wir können doch nicht nur zu ihm hinlaufen, ihm alles aus der Hand reißen, weglaufen und ihn dann stehen lassen? Oder?
Die eine Pointe des Gleichnisses ist es, dass ausgerechnet so ein Falschgläubiger zu Jesus kommt. Die andere Mahnung ist die, dass alle Menschen in der Gefahr stehen, so viel Gutes aus Gottes Hand zu bekommen, und ihn darin nicht erkennen, nicht dankbar werden. Wirklich glücklich sind nicht die, die viel haben, sondern die, die viel danken, die dankbar sind. Jemand, der weniger hat aber dafür von Herzen dankbar ist, ist glücklicher als einer, der viel hat aber nicht zufrieden ist, sich Sorgen macht, der den Geber hinter den Gaben nicht erkennt. Er erlebt all das Gute, was er hat, nicht mit Gott.
Bei dankbaren Menschen wächst das Vertrauen zu Gott. Sie erkennen seine Liebe und Treue, seine Hand an jedem Tag. Und wer dankt, wird immer dankbarer. Wer Gott dankt, wird ihn immer mehr in seinem Leben erkennen.
Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, er hat seine Schüler darin lehren wollen, Gott in allem zu erkennen! Zu den von Ignatius gelehrten Gebetsformen gehört das abendliche Gebet der Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit auf Gottes Geschenke, das hat Ignatius als seinen Reichtum erkannt. Das suchen die Jesuiten bis heute. Gott in allem zu erkennen, ihm für alles dankbar zu sein. Darum pflegen sie das Gebet der dankbaren Aufmerksamkeit. In ihrem Abendgebet gehen sie jeden Tag zurück zu Jesus und fallen vor ihm nieder und loben Gott.
Ich mache das auch. Ich habe es mir auch angewöhnt. Und es gibt keinen Abend ohne Gründe zu danken. Ich bitte Gott auch. Für andere Menschen, für mich. Aber das Danken vergesse ich nicht. Und wenn man sich das angewöhnt, wird man auch den Tag über schon dankbarer. Man nimmt das Schöne, das Überraschende, etwas, was Gelungen ist, die Begegnung mit einem Menschen aus Gottes Hand. Man weiß schon: Heute Abend gehe ich zu Jesus zurück und ich werde ich ihm dafür danken.
Drei Wochen sind es noch zu Erntedank. Wir danken Gott nicht nur, dass er uns gut versorgt. Wir danken ihm für alles, was aus seiner Hand kommt. Ich möchte das gerne mit euch üben, dankbar zu werden. Ich möchte euch einladen oder auffordern, die kommenden drei Wochen jeden Abend ein dankbares gebet der Aufmerksamkeit zu beten.
Man geht in Gedanken den Tag noch einmal durch und dankt Gott für alles Gute, was man erlebt hat. Dass man gut geschlafen hat, vielleicht ein schönes Frühstück, Gelingen bei der Arbeit, vielleicht eine überraschende Begegnung, ein Anruf, das Wetter, dass der Zahnarzt nicht gebohrt hat, für etwas, was einem gut geschmeckt hat. Was könnte es sein, wofür ich Gott nicht dankbar bin?
Ich werde nachher am Ausgang stehen mit einer Liste und wer mag schreibt seinen Namen darauf. „Ich werde Gott drei Wochen jeden Abend danken.“ Norbert Giebel; oder eben dein Name. Ich gebe euch ein kleines Kärtchen zur Erinnerung mit. Und vielleicht habt ihr dann am Erntedankgottesdienst etwas zu erzählen. Ich werde niemanden darauf ansprechen, niemand wird es kontrollieren. Nur du machst mit deinem Namen deine Entscheidung fest. Es bleibt bei dir und bei Gott.
„Wo sind die anderen Neun?“ fragt Jesus. Kann es sein, dass 90 Prozent derer, die er beschenkt hat, seine Liebe darin nicht erkennen und Gott nicht dafür ehren?
Die Geschichte mit den Zehn Aussätzigen könnte man zusammenfassen mit Psalm 50,15:
„Rufe mich an in der Not!“ – Das haben die Zehn getan!
„So will ich dich erretten!“ – Das hat Jesus getan!
„Und du sollst mich preisen!“ – Das hat der Samariter getan.
Amen.
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