Markus 7, 31-37 Hören lernen
15.01.2023
Hören können und reden können, das gehört zusammen. Wer nicht hören kann, kann auch nicht reden. Oder man redet falsch. Man sagt nicht das Richtige, weil er nicht gehört hat. Man hat nicht zugehört und zu schnell geredet. Oder man redet undeutlich, man versteht ihn nicht. Jemand hat nicht sprechen gelernt, weil er nicht hören kann. Darum redet er undeutlich oder hat ein nur sehr begrenztes Vokabular.
In meiner Tischlerlehre in Emden hatten wir eine angelernte Hilfskraft. Er war taubstumm. Eigentlich war er nur taub, aber er ist nicht gefördert worden. Er stammelte vor sich hin, konnte einige wenige Brocken sprechen, selbst die lautesten Maschinen konnte er nicht hören. Wenn man sich ihm von hinten näherte, erschrak er bei einer für ihn plötzlichen Berührung. Er konnte nicht reden, weil er nicht hören konnte. Nicht selten musste man mit Gesten sprechen: Jetzt ist Pause. Soll ich dir etwas zum Trinken mitbringen? Kannst du mir mal helfen?
Reden können und hören können gehören zusammen. Richtig reden können und hören können gehören zusammen. Das stimmt bei der Kommunikation zwischen Menschen und das stimmt auch für unsere Kommunikation mit Gott. Wer nicht hört, hat nichts zu sagen. Oder sie oder er sagt immer das Gleiche, weil man immer das Gleiche hört. Das, was man hören will, was man immer schon gehört hat.
Es gibt auch eine geistliche Schwerhörigkeit. Nicht nur, um zu reden, brauchen wir den Heiligen Geist, sondern auch zum Hören. Wer nicht mehr hören kann, tut gut daran zu schweigen, vielleicht einmal den Mund zu halten. Sie oder er fährt Gott und Menschen sonst über den Mund, weil sie oder er nicht mehr hinhört. Ich lese uns eine Heilungsgeschichte von Jesus. Er heilt einen Taubstummen. Der kann dann hören und richtig reden. Und ich möchte diese Heilung auf uns beziehen, auf unsere Taubheit und unsere Stummheit.
7,31 Und als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege. 33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und 34 sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf!
35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. 36 Und er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.
Geistlich taub und stumm sein, wie dieser Mann es körperlich ist, das können auch Menschen, die zu hören und zu reden wissen. Sie wollen irgendetwas nicht hören. Sie sind taub für bestimmte Wahrheiten. Sie wollen etwas nicht an sich heranlassen. Sie wollen auf bestimmte Themen nicht angesprochen werden. Sie überhören es glattweg. Lenken ab mit belanglosen Antworten. Das kann uns allen passieren!
Der Mann aus dem Markusevangelium konnte nichts hören und kaum sprechen. Er hatte eine „schwere Zunge“ heißt es wörtlich übersetzt. Die Neue Genfer Übersetzung schreibt: „Er konnte nur wenig sprechen.“ Immerhin: Dieser Mann hatte andere, die ihn zu Jesus gebracht haben. Ob es sein Wunsch war, seine Initiative, oder die seiner Freunde, wissen wir nicht. Jesus ist im Heidenland unterwegs. Also nicht in Israel sondern in der Dekapolis, im heutigen Syrien. Es waren Heiden, also Nichtjuden, sie brachten einen Taubstummen, er solle ihn berühren, ihm die Hand auflegen. Auch sie hatten von Jesus gehört.
Das Erste, was Jesus tat: Er nahm ihn beiseite. Weg aus dem Rummel. Herunter von der Bühne. Jesus sucht die ganz persönliche Begegnung zu zweit! Nur er und dieser Taubstumme. Jetzt steht er allein vor Jesus. Er ist mit ihm gegangen. Er wollte das auch. Bis hierher wurde er gebracht. Jetzt geht er selbst mit. Jesus und er sehen sich an. Reden können sie nicht. Er sieht Jesus an und er lässt sich von Jesus ansehen. Sehen kann er gut. Gesicht zu Gesicht. Auge in Auge. Sie reden schon mit ihren Blicken.
Ich stelle mir vor, dass Jesus so auch jeden, jede von uns beiseite nehmen will! Unsere ganz eigene Begegnung mit ihm sucht. Unsere Zeit mit ihm. Dabei gibt es ein Seelsorgegeheimnis. Manches geht nur Jesus und mich etwas an. Und wenn jemand anderes dabei ist, dann muss sie oder er es für sich behalten.
Es geht nicht um irgendeinen Taubstummen. Es geht jetzt um diesen Menschen. So wie es um uns geht, wenn Jesus uns beiseite nimmt, wenn wir mitgehen. Nur um ihn und um mich. Jesus möchte uns heilen, wo wir taub und stumm geworden sind. Es kann jedem von uns passieren, dass wir taub sind für das, was Gott uns zu sagen hat. Gottes Stimme dringt nicht mehr durch. Wir wollen manches nicht hören. Überhören es glatt. Weichen aus. Wir hören nur heraus, was wir schon kennen oder was uns bestätigt, nicht das, wo Gott uns in Frage stellt.
Ich las von einem Vater, der sein schreiendes Kind überhört, wenn er arbeitet. Er ist so konzentriert, hat den Kopf und alle Sinne so voll von seinen Aufgaben, dass er sein eigenes Kind überhört. Gott macht diese Erfahrung als Vater umgekehrt: Er ruft sein Kind und das Kind hört nicht, weil das Kind alle seine Sinne besetzt hat. Da kann Gott schreiben so viel er will.
Oder wir hören uns selbst nicht mehr. Spüren gar nicht, merken nicht, was in uns los ist, was wir fühlen, was wir falsch machen, weil wir auch taub für uns selbst geworden sind. Wir hören nicht mehr und haben nichts mehr zu sagen. Uns fehlen die Worte, uns selbst auszudrücken, Jesus ganz ruhig an uns heranzulassen. Gesicht zu Gesicht. Auge in Auge. Nur er und ich. Wir hören ihn nicht mehr und hören uns nicht mehr. Dann haben wir ihn und uns selbst verloren. Keinen lebendigen Kontakt mehr.
Nachdem Jesus ihn beiseite genommen naht, heilt Jesus den Taubstummen in fünf Schritten.
- Er legt die Finger in seine Ohren
Jesus legt ihm nicht die Hände auf. Das hatten seine Freude erwartet, die ihn gebracht hatten. „So geht Heilung immer“, dachten sie. Beide sehen sich an, ganz nahe, dann berührt Jesus ihn da, wo es weh tut, wo die Ursachen seiner Schmerzen und seiner sozialen Not liegen, wo er leidet. Jesus berührt seine wunden Punkte.
Auch da stelle ich mir vor, dass Jesus es mit jeder und jedem von uns tut, wenn wir uns von ihm beiseite nehmen lassen. Jesus behandelt nicht alle gleich, er sagt nicht dieselben Worte, er nutzt nicht dieselben Gesten. Er sieht, wo es mir oder dir weh tut, wo die Ursache liegt für meine oder deine Not. Da legt er seinen Finger hin.
„Jesus stößt ihm seine Finger in die Ohren!“ So müsste man es übersetzen. Das von Markus verwendete Wort drückt Kraft aus. Der Taube sollte ihn fühlen. Vielleicht auch Jesu Entschiedenheit. Jesus drückt ihm seine Finger in die Ohren. Vermutlich nicht zart, sondern kräftig. Und doch lässt es sich der Mann gefallen!“ Er zuckt nicht weg. Er wehrt sich nicht. Das ist nicht gerade angenehm, aber es ist vorher etwas passiert zwischen den beiden: Der Taubstumme vertraut Jesus. Er weiß, dass er es gut meint. Er lässt sich seine Therapie, seine Behandlung gefallen.
Anselm Grün, Benediktinermönch in Münsterschwarzach, er sieht noch einen anderen Grund, dass Jesus ihm die Ohren zuhält. Auch Anselm Grün fragt danach, was wir für uns aus diesem Heilungsbericht übertragen können. Und er schreibt: Wenn wir Gott hören wollen, dann „müssen wir erst einmal die Ohren verschließen, damit wir fähig werden zu hören. Statt nach außen zu hören, müssen wir zuerst lernen, nach innen zu hören, auf die leise Stimme Gottes in unserem Herzen.“ Wer wieder hören lernen will, muss lernen mit dem Herzen zu hören. Gott will zu Herzen reden. Dazu müssen wir abstellen, was sonst so laut um uns her und in uns ist. Wer still wird, lernt hören. Um wen herum es laut ist, der kann schlecht hören.
- Jesus berührt seine Zunge mit Speichel
Das ist ekelig, oder? Wer mag denn den Speichel eines anderen auf der eigenen Haut? Und dann noch im Mund, an der eigenen Zunge!? Und wieder lässt der Taubstumme es zu. Er zuckt nicht weg. Er weicht nicht aus. Er sieht offensichtlich ein Zeichen der Zuwendung, der Liebe, der Heilung darin, dass Jesus so handelt. Vielleicht war es eine peinliche Berührung, ein peinlicher Moment. Aber ohne diesen Moment gibt es keine Heilung. Jesus will berühren, was wund ist. Er legt seinen Speichel auf die schwere Zunge des Taubstummen.
Aber wie hat Jesus das gemacht? Es gibt einige Vermutungen. Markus hat nur diesen einen Satz geschrieben: „Er legte ihm die Finger in die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel!“ Ist das nacheinander passiert oder gleichzeitig? Wie kann er gleichzeitig die Finger in seine Ohren stecken und Speichel auf seine Zunge bringen? Hat Jesus, als er die Finger aus den Ohren gezogen hat, Speichel auf seine Finger gelegt und damit die Zunge berührt? Oder hat er ihn geküsst? Nicht wenige Ausleger vermuten das. Wie sonst soll Speichel die Zunge eines anderen berühren, wenn nicht durch einen Kuss?! Zumal die Finger nur erwähnt werden, als sie in die Ohren gesteckt werden.
War es vielleicht eine zärtliche Geste? Ein Kuss? Hat Jesus ihm auf den Mund geküsst, mit dem er nicht sprechen konnte? Ein Kuss zwischen Männern etwa zur Begrüßung war damals nicht fremd. (In einer sehr frühen Gottesdienstordnung aus Rom steht, dass sich die Christen vor dem Abendmahl mit einem Kuss begrüßt haben.) Wir wissen nicht, wie Jesus den Speichel auf die Zunge des Taubstummen gebracht hat. In einer anderen Übersetzung (Fridolin Stier) heißt es sogar: „Jesus spuckte und hielt seine Zunge fest.“ Das Festhalten der Zunge steht aber ebenso wenig im Text wie Finger, die Jesus zur Hilfe genommen hat.
War es eine zärtliche Geste oder war es eine völlig fremde ekelige symbolische Geste, was Jesus getan hat? Was wir wissen: Der Mann hat sich von Jesus berühren lassen und er hat Jesus dabei freie Hand gelassen.
Noch einen Akzent hat diese Heilung, den wir nicht mehr als Besonders wahrnehmen: Der Taubstumme war kein Jude wie Jesus und seine Jünger. Ein Jude durfte einen Heiden nicht berühren. Er machte sich nach dem Gesetz dadurch unrein. Jesus hat keine Berührungsängste. Der Mensch geht vor. Dass er hier einen Heiden heilt, ist ein Signal auch für seine Jünger. Jesus geht unreinen Menschen nicht aus dem Weg. Er macht sie dadurch rein, dass er sie berührt. Unreine Menschen, Menschen, die von anderen für unrein gehalten werden und Menschen, die sich selbst für unrein halten, sie dürfen Jesus vertrauen, zu ihm gehen. Er berührt sie liebevoll und schenkt ihnen sein Heil.
- Jesus blickt zum Himmel
Damit lenkt er auch den Blick des Taubstummen zum Himmel. Das ist ein eigener Schritt im Verlauf der Heilung. Jesus öffnet den Himmel für sie beide. Er zeigt, von wem er Hilfe erwartet. Sie stehen zu zweit vor Gott. Der Himmel ist offen. Das kann auch in anderen Gesprächen passieren, dass der eine zum Himmel aufsieht, dann der andere auch, und dass sich der Himmel über ihnen auftut. Die da gerade reden, haben den Blick auf Gott wieder frei bekommen. Von ihm erwarten sie Hilfe. Noch einmal Anselm Grün. Er hat einen schönen Gedanken, finde ich. Er behauptet: „Das Ziel jeden echten Gespräches ist es, den Himmel über uns zu öffnen!“ (Exerzitien für den Alltag, S.32)
- Jesus seufzt
Jesus stöhnt auf. Warum? Kostet es ihn Kraft? Kämpft er um den Taubstummen und um mich und ich, wenn wir zu ihm kommen? Ist Jesus traurig? Seufzt er mit, mit der ganzen Schöpfung? Seufzt er unter der Unerlöstheit und Krankheit dieser Welt? Oder leidet er wirklich mit? Fällt vielleicht die ganze Not dieses Menschen auf ihn? Trägt er seine Krankheit mit? Ich denke, dass Seufzen zeigt, wie sehr Jesus in diesem Moment mit dem Mann eins ist. Dann ist es auch ein Schritt zur Heilung. Jesus macht sich eins mit den Leiden des anderen. Das macht er auch, wenn er uns zur Seite nimmt. Er trägt unsere Schuld und unsere Krankheit. Er bleibt nicht unbeteiligt. Jesus seufzt.
- Erst nach diesen vier Schritten kommt das erlösende Wort: Effata: Öffne dich
Das ist kein Zauberspruch, so wie „Sesam öffne dich“, sondern effata heißt übersetzt „öffne dich“. Markus hat das ursprüngliche Wort, das Jesus verwendet hat, beibehalten. Seine Ohren sollen sich öffnen. Sein Mund soll sich öffnen. Jesus fordert den Taubstummen dazu auf. Er soll tun, was er bisher nie tun konnte. Er soll Jesus vertrauen. Jesus handelt an ihm. Aber jetzt handelt er wieder mit ihm. Er fordert ihn auf: Effata, das ist ein Imperativ. Der Taubstumme soll nicht wieder gehen und Gott für diese wunderbare Begegnung danken. Er soll hören und er soll reden. Er soll tun, wozu Jesus ihn befreit hat.
Ich möchte effata einmal anders übersetzen: Nun mach schon! Nun fang schon an! Nun warte nicht! Jetzt geh nicht, ohne darin zu leben, was ich dir geschenkt habe! Wie schnell geht das, dass wir etwas hören und danken dafür, dass wir es gehört haben, aber wir gehen völlig unverändert. Wir ziehen keine Konsequenzen. Wir fangen nichts an. Unsere Ohren haben gehört aber unsere Herzen haben nichts gehört! Effata sagt Jesus nicht zu den Ohren des Mannes, sondern zu seinem Herzen, zu seinem Willen, zu ihm als einem handelnden verantwortlichen Menschen.
Geht es bei dieser Heilung ausschließlich um eine körperliche Heilung? Oder soll sich der Mensch als Ganzer öffnen? Ich glaube, wenn Jesus uns beiseite nimmt und wenn wir mitgehen, dann sieht er uns immer ganz. Er möchte, dass wir uns ihm ganz öffnen. Er möchte uns ganz erfüllen. Auch, wenn wir vielleicht zuerst nur wegen der Ohren gekommen sind.
Markus berichtet weiter: „Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig.“ Dieser taubstumme Heide, er zögert nicht. Er öffnet sich. Und er kann wieder hören und wieder richtig sprechen. Hören können und reden können gehören zusammen.
So will uns Gott sein Reich unter uns zeigen: „Die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen reden.“ Das sagen die Leute, als sie das Wunder gesehen haben. Das ist typisch für Jesus, darauf ist Verlass: Wenn er Menschen beiseite nimmt, lernen sie ihm vertrauen. Er berührt sie, wo es weh tut, wo ihr Schmerz sitzt. Er heilt sie, damit sie wieder hören und reden können.
Amen
Gebet
Herr Jesus, ich gehe mit dir, wenn du mich beiseite nimmst.
Heiland, öffne meine Ohren, dass ich ein Hörender bin.
Ich will dich mit dem Herzen hören und ich brauche deinen Geist dazu.
Mach mich still, dass ich deine leise Stimme hören kann.
Mach mich sensibel für Impulse von dir. Halte mir die Ohren zu, wenn es laut ist.
Berühre meine Zunge, gib mir deinen Geist, das ich richtig reden kann, Worte, die von dir kommen, die den Himmel über uns auftun, dass du selbst durch mich hindurchscheinst.
Amen
Für diese Predigt habe ich sehr profitiert von Anselm Grün, Exerzitien für den Alltag,20089 , S. 27-35. Mit Gewinn habe ich auch gelesen die Predigten vom 22.8.2021 von Sabine Handrick, Düdingen, www.theologie.uzh.ch, und von Rüdiger Kunstmann, www.kirche-neuevahr.de
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