Matthäus 22, 35-40 Das höchste Gebot

Matthäus  22:
35 Und einer von ihnen (von den Pharisäern, Kontext), ein Lehrer des Gesetzes, versuchte ihn (Jesus) und fragte: 36 Meister, welches ist das höchste Gebot im Gesetz?
37 Jesus aber sprach zu ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. 38 Dies ist das höchste und erste Gebot. 39 Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« 40 In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. 

Ein Pharisäer, ein Lehrer der Thora, kommt zu Jesus. Er hat eine Frage. Er versuchte ihn, übersetzt Luther. Man kann das griechische Wort auch übersetzten: Er testete ihn. Es kann auch sein, dass er es einfach wissen will und nichts Böses dabei im Schilde hatte. Seine Frage ist außergewöhnlich: „Was ist das höchste oder das wichtigste Gebot?“ M.a.W.: „Gibt es ein Gebot, das über allen anderen steht, das Gott ganz besonders am Herzen liegt?“

Es gibt 613 Gebote und Verbote in der Thora, in den fünf Büchern Mose. Rund 350 Verbote, was man nicht tun soll, und 250 Gebote, was man tun soll. Kann es da überhaupt ein höchstes Gebot geben? Welches Gebot sollte denn über diesen 613 Geboten stehen? Jesus hätte doch sagen können: Blöde Frage. Dumme Frage. Willst du mich reinlegen? Alle Gebote kommen von Gott! Alle sind gleich wichtig. Jesus aber reduziert tatsächlich die 613 Gebote auf zwei. Zwei Gebote, die zusammengehören, die eigentlich ein Gebot sind. Sie stehen über allen anderen. Sie stecken in und hinter allen anderen.

37 Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. 38 Dies ist das höchste und erste Gebot. 39 Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« 40 In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Das ganze Gesetz und die Propheten, mit dieser Formel ist das ganze Alte Testament gemeint, alle heiligen Schriften der Juden. „Gott lieben und seinen Nächsten lieben.“ Das ist der Schlüssel zur ganzen damaligen Bibel, meint Jesus. Das ist das Herz aller christlichen Ethik.

„Glaubt nicht, dass ich gekommen bin, die Thora aufzulösen,“ sagt Jesus in der Bergpredigt (Matth 5,17). „Ich bin nicht gekommen, es aufzulösen, sondern es zu erfüllen!“  Man kann auch übersetzten „es an sein Ziel zu bringen!“ Das Gesetz kann sich nicht selbst erfüllen. Das Gesetz kommt allein nicht ans Ziel. Es braucht Jesus, der sagt, woraufhin es zielt, was das höchste und größte Gebot ist: „Gott lieben und seinen Nächsten wie sich selbst!“

Es ist übrigens kein Zufall, dass Jesus nicht die Zehn Gebote nimmt. Das Zehnwort, wie es im Hebräischen und im Judentum heißt, hat im Judentum lange nicht eine so hohe Bedeutung wie später in der Lehre der Kirche. (etwa ab 4. Jhdt.?) Die zehn Gebote sind reine Vermeidungsethik: Du sollst nicht den Namen Gottes missbrauchen. Du sollst nicht lügen, nicht stehlen, nicht in eine fremde Ehe einbrechen, nicht begehren, was ein anderer hat … Mit einer reinen Vermeidungsethik, was man nicht tun soll, war Gott im Alten und im Neuen Testament nie zufrieden. Es geht darum, was man tut, wie man positiv lebt und handelt. Gott will, dass wir Gutes tun, nicht nur, dass wir Böses vermeiden. Das ist ein tragischer Irrtum, dass viele Christen denken, die zehn Vermeidungsgebote seien das höchste Gebot Gottes.

„Alles was ihr tut, das geschehe in Liebe!“ hat Paulus später zurecht geschrieben (1. Korinther 16,14). So leben wir nach der Thora. So wird das Gesetz erfüllt. Ja, wir dürfen und wir sollen nach dem höchsten Gebot fragen und aktiv danach leben.

Matthäus Kapitel 23 kritisiert Jesus die Pharisäer scharf. „Sie versperren den Menschen den Zugang zur neuen Welt Gottes!“ sagt Jesus. Bei ihnen ist das kleinste Gebot ebenso wichtig wie das Größte.  So begegnen sie auch den Menschen. Sie geben von allem den Zehnten, sagt Jesus, sogar von ihren Gewürzen, Minze, Anis und Kümmel. Aber sie vergessen die wichtigeren (!) Gebote. (Matth 23,23) Die Gute Nachricht übersetzt: „Aber um die entscheidenden Forderungen der Thora, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue, kümmert ihr euch nicht!“

Wie die Pharisäer das Gesetz verwenden, ist es keine Lebenshilfe mehr, kein guter Wegweiser Gottes.  Sie bauen eine Mauer auf oder einen Graben gegen andere. Das gute Gesetz wird zum Fluch. (vgl. Gal 3,13) Es schadet den Menschen.

37 Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. 38 Dies ist das höchste und erste Gebot. 39 Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«

Beide Gebote finden sich im Alten Testament. Dort stehen sie weit auseinander, ohne jeden Zusammenhang. Jesus stellt sie nebeneinander und sagt: Das Zweite ist genauso wichtig wie das Erste. Zuerst wird die Gottesliebe genannt.  Aber nie allein! Zurecht schreibt Johannes später „Du bist ein Lügner, wenn du sagst, du liebst Gott, deinen Bruder aber hasst.“ (1. Joh 3,17) Das geht doch gar nicht.

Hassen meint hier nicht hassen in unserem modernen Sinn. Hassen meint, dass mein Bruder, mein Nächster, mir gleichgültig ist. Es ist mir egal wie es ihm geht und ich tue nichts für ihn. Ich entziehe ihm meine unterstützende Gemeinschaft, die Gerechtigkeit, den Frieden, die Barmherzigkeit. Zuerst wird die Liebe zu Gott genannt. Aber nie allein. „Wie kannst du sagen, dass du Gott liebst, den du nicht siehst, aber deinen Nächsten, den du siehst, liebst du nicht?“ (vgl. 1. Joh 3,17) Das geht doch gar nicht.

Was wohl passiert wäre, wenn Jesus nur gesagt hätte: „Das höchste Gebot ist, du sollst Gott lieben!“? Das wäre ganz auf Kosten der Nächstenliebe gegangen. Dann hätten die Frommen   die, von denen sie meinen, sie seien besondere Sünder, verfolgt, angegriffen, ausgegrenzt, verurteilt. Dann wäre das Gebot „Gott zu lieben“, zu einer Mauer, zu einem Graben geworden, zwischen Christen und anderen Menschen. Nein. Die Liebe, die von Gott kommt, ist nicht teilbar. Sie sortiert nicht aus. Sie unterscheidet nicht, wer mehr oder weniger zu lieben wäre.

Sehen wir uns die beiden Zitate Jesu aus dem AT noch einmal an: „Wir sollen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.“  Um es kurz zu machen: Mit Herz sind unsere Lebensmotive und Lebensziele gemeint. Die Seele steht für unsere menschlichen Bedürfnisse. Die Seele hat Durst, sie hat Sehnsucht, sie kann gekränkt sein. Das Dritte hat Luther übersetzte „und von ganzem Gemüt“. Moderne Übersetzungen schreiben „und mit deinem ganzen Denken“ oder „und mit deinem Verstand“. Man kann auch übersetzten: „Mit deiner ganzen Urteilskraft.“ Es geht darum, Entscheidungen im Leben vor Gott und aus Liebe zu ihm zu treffen. Zuerst aus Liebe zu ihm.

37 Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. 38 Dies ist das höchste und erste Gebot. 39 Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« 40 In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Wer ist denn mein Nächster? Auch die Frage wurde Jesus gestellt. Dann erzählt er das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. (Lukas 10) Der Nächste ist nicht mein Nachbar, mein Bruder und meine Schwester in der Gemeinde, mein Freund. Der Nächste ist der andere, der, der anders ist. Vielleicht hat er einen anderen Glauben wie der Samariter, oder eine andere Kultur. Vielleicht auch eine andere sexuelle Orientierung füge ich hinzu. (Das könnt ihr entscheiden. Aber können wir das wirklich entscheiden?)

Jeder von Gott geschaffene Mensch kann mein Nächster werden. Der, dem ich nahekomme, dem ich mich zuneige, dessen Not ich an mich heranlassen, dem ich in seiner Not helfe und ihn unterstütze, an dem ich nicht vorbeigehe der ist mein Nächster.

Das Gebot, den Nächsten zu lieben, steht in 3. Mose 19. Direkt vorher geht es um Menschen, die mir Unrecht getan haben. Ich soll auf Vergeltung verzichten. Ich soll mich nicht selbst zum Hass verführen lassen. (Das kommt Jesu Gebot der Feindesliebe schon nahe.) Dann kommt das Gebot: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!

Und direkt danach kommt: Du sollst den Fremden, der bei dir lebt, nicht bedrücken. Denke, daran, dass du selbst ein Fremder warst in Ägypten. Es geht bei der Nächstenliebe nicht um meine Schwestern und Brüder in der Gemeinde, um meine Familie und meine Freunde oder darum, den zu lieben, der mir sympathisch ist. „Was ist das für eine Liebe, wenn ihr nur die liebt, die euch lieben!“ hat Jesus sein Jünger gefragt. (vgl. Luk 6,32)

Nächstenliebe als das höchste Gebot Gottes? Wer glaubt denn so etwas? Wer lebt denn danach? Den Schwachen, den Gefangenen, den Nackten, den nach Leben Durstigen etc. lieben wie mich selbst? Wie wenig Raum finde ich hat die Nächstenliebe in vielen unserer Gemeinden und bei vielen unserer Geschwister. Wir halten uns lieber an die Zehn Gebote und meinen, sie seien das höchste Gebot. – Wir loben Gott und wir lieben uns selbst und wir lieben die, die uns sympatisch sind und die sich uns gegenüber auch mit Respekt verhalten. Uns reicht das. Gott reicht das nicht. Wir haben wie die Pharisäer das Wichtigere vergesen.

Bleibt mir noch darauf hinzuweisen, dass auch die Selbstliebe in den Worten Jesus als Gebot gemeint sein kann: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Das kann im AT und NT und im Deutschen zweifach gemeint sein: Erstens: Liebe deinen Nächsten mit der Intensität, mit der Treue, mit der Barmherzigkeit wie du dich liebst. Dann ist vorausgesetzt, dass ich mich liebe und so soll ich meinen Nächsten lieben.

Zweitens kann es heißen: Liebe deinen Nächsten so wie ich dir auch gebiete, dich selbst zu lieben. Es geht nicht darum den anderen zu lieben anstelle von mir. Ich darf und ich soll mich lieben, wie auch ihn.      Die Liebe ist unteilbar. Wer sich selbst nicht lieben kann, wird auch andere nicht lieben können.

Ein Lehrer der Thora kam zu Jesus und fragte, was das höchste Gebot sei. Jesus antwortet:

»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. 38 Dies ist das höchste und erste Gebot.39 Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« 40 In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.

Amen

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